Süddeutsche Zeitung, 06.06.2013

"Eine Schande"


Die Polizei geht davon aus, die Täter ermittelt zu haben, die hinter den rechtsextremistischen Attacken gegen Nazi-Gegner in den vergangenen Wochen stecken. Am 29. Mai wurden zwei junge Männer und eine Frau festgenommen, nachdem sie in der Westendstraße bei Schmierereien mit Kreide beobachtet worden waren. Einer von ihnen, ein 27-jähriger Münchner, gehörte einst zur Gruppe um den Rechtsterroristen Martin Wiese, die einen Anschlag auf die Grundsteinlegung der Synagoge am Jakobsplatz geplant hatte. Weil die Kreideschmierereien keine Sachbeschädigung darstellen, ist entscheidend, ob das Trio auch für die früheren Anschläge verantwortlich ist. Erste Ermittlungsergebnisse deuten offenbar genau darauf hin. Am Mittwoch berichtete Polizei-Vizepräsident Robert Kopp der Vollversammlung des Stadtrats über diese Anschlagserie, die seit Mitte April die Polizei beschäftigt. Die Grünen hatten dies beantragt.

Die Polizei nehme die Taten 'sehr, sehr ernst', betonte Kopp mehrmals. Deshalb seien auch 17 Streifenwagen ausgerückt, als vergangene Woche der Hinweis auf das Trio eingegangen war. In den Wochen zuvor waren mehrere Fensterscheiben von linken Projekten eingeschlagen, Eier und Farbbeutel geworfen und in Scheiben Worte wie 'NS jetzt' geritzt worden. Zudem war der Eingangsbereich der Rechtsanwaltskanzlei von Angelika Lex, die die Frau eines der NSU-Mordopfer als Nebenklägerin vertritt, mit Fäkalien verschmiert worden. Kopp nannte es 'eine Schande', dass die Anschläge zeitgleich zum NSU-Mordprozess vor dem Oberlandesgericht geschehen seien. 'Die Rechtsradikalen verstecken sich derzeit in München nicht', lautete sein Fazit. Schon im vergangenen Jahr sei die Zahl der rechtsextremen Straftaten in der Stadt deutlich angestiegen.

Gülseren Demirel, Fraktionschefin der Grünen, und Brigitte Wolf von der Linkspartei werteten die Attacken als Versuch der Einschüchterung. Die Täter solidarisierten sich so auch mit den Morden des NSU, sagte Demirel. Ihre Nachfrage, ob die rechtsextreme Münchner Szene derzeit Zulauf von außerhalb habe, ließ Kopp unbeantwortet.

Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) dankte der Polizei für ihr engagiertes Eingreifen und verurteilte die Anschläge. Dabei stehe nicht der finanzielle Schaden durch die Sachbeschädigung im Vordergrund, sondern die damit verbundene Botschaft der Täter: Es solle 'ein Klima der Angst geschaffen werden'. Die rechte Szene signalisiere durch ihr Auftreten in den vergangenen Wochen und Monaten, dass sie nicht behelligt werden wolle von engagierten Bürgern. Ude ging auch auf einen Redebeitrag des rechtsextremen Stadtrats Karl Richter ein, der die Attacken als 'Lappalie' verharmlost hatte. Eine Relativierung rechtsextremer Taten durch einen Vergleich mit anderen Straftaten wolle er, Ude, nicht zulassen. Wenn ansonsten niemand im Stadtrat auf Richter erwidere, sei dies Ausdruck dessen, dass man dessen Äußerungen nicht als Teil des demokratischen Diskurses betrachte, so der OB. Mit lautem Applaus unterstützte das Rathaus-Plenum diese Strategie.

Bernd Kastner

Quelle: Süddeutsche Zeitung

Zurück