junge Welt, 06.07.2012

»Ein Teil ihrer Forderungen war erfolgreich«

Lena Zachmann ist Unterstützerin der streikenden iranischen Flüchtlinge in Würzburg


junge Welt:
Sieben der acht iranischen Flüchtlinge, die sich in der Würzburger Innenstadt in einem Zelt niedergelassen hatten, haben am Mittwoch ihren Hungerstreik beendet. Aus Protest gegen die menschenunwürdigen Bedingungen, unter denen Asylsuchende leben müssen, hatten sich einige die Lippen zugenäht, so daß sie Wasser nur noch mit Strohhalmen zu sich nehmen konnten, andere hatten kurzzeitig nichts getrunken. Haben sie ihre Ziele erreicht?


Lena Zachmann: Mit einem Teil ihrer Forderungen waren sie erfolgreich. Der Hungerstreik dauerte insgesamt zwei Monate – allerdings auf drei Phasen verteilt. Am Mittwoch haben vier der Asylsuchenden vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine mündliche Zusage erhalten: Über ihr politisches Asyl in Deutschland wird positiv entschieden. Sie beschlossen daher, ihre Lippen wieder zu öffnen und den Hungerstreik zu beenden. Zwei andere, Reza Feizee und Payam Raho, waren bereits zuvor, kurz nachdem sie in diese verschärfte Form des Hungerstreiks getreten waren, als politische Flüchtlinge anerkannt worden.

Arash Dosthossein wartet noch auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts in Düsseldorf, mußte aber am Wochenende wegen seiner kritischen gesundheitlichen Situation in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Auf Rat der Mediziner wurden die Nähte an seinen Lippen entfernt. Nun befindet sich nur noch Mohammad Hassanzadeh Kalali im Hungerstreik, weil er noch auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts in Regensburg warten muß. Seine Lippen hat er wieder geöffnet, weil er seine Erfahrungen an andere Flüchtlinge weitergeben will, die sich anderswo dem Streik anschließen. Er ist aber sehr geschwächt.

Warum haben die sieben den Hungerstreik beendet, obgleich ihre Forderungen erst teilweise erfüllt sind?

Der Protest dieser Menschen geht weiter, sie hungern nur nicht mehr. Sie haben zwar zum großen Teil politisches Asyl erhalten, das ist ihr Erfolg. Sie werden aber trotzdem weiter im Zelt übernachten, um über ihre noch offenen Forderungen zu informieren: Sie verlangen, daß die Lager ebenso wie die Residenzpflicht abgeschafft werden. Sie protestieren auch dagegen, daß Flüchtlinge kein Geld, sondern nur Essenspakete erhalten. Es geht ihnen außerdem um die schnellere Bearbeitung der Asylanträge durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie die Möglichkeit, den eigenen Lebensunterhalt durch Arbeit zu sichern. Sie fordern professionelle Deutschkurse, die Gewährung anwaltlicher Unterstützung, freie Arztwahl sowie den Einsatz zertifizierter Dolmetscher gleich zu Beginn der Asylverfahren.

Wie lange wollen Flüchtlinge und Unterstützer für diese generellen Forderungen weiter demonstrieren?

So lange, bis sich bei den politisch Verantwortlichen etwas bewegt. Das Zelt in der Innenstadt ist bis zum 16. August angemeldet. Danach werden wir verlängern.

Hat die Aktion der Iraner Nachahmer gefunden?

In zwei anderen bayerischen Städten, Aub und Bamberg, haben Flüchtlinge ebenfalls die Unterkünfte verlassen und sich in Zelten niedergelassen. Widerstand regt sich auch Sinsheim, Leipzig, Berlin, Regensburg.

Wie hat die Würzburger Öffentlichkeit bisher auf den Protest reagiert?

Die Bürger waren natürlich schockiert über diese Widerstandsform – der Schrecken hat sich aber gelegt, nachdem allen die Fäden entfernt wurden, mit denen sie ihre Münder zugenäht hatten.

Die Solidarität geht weiter. Nach unserer Erfahrung werden die Forderungen der Flüchtlinge von weiten Teilen der Bevölkerung verstanden und geteilt. Passanten informieren sich über den Streik, Gruppen aus anderen Städten reisen an, einige haben sich drei Tage lang dem Protest angeschlossen.

Interview: Gitta Düperthal

Quelle: junge Welt

Zurück