Süddeutsche Zeitung, 24.11.2010

"Ein riskantes Instrument"

Alexander Thal vom Flüchtlingsrat über einen weiteren Hungerstreik

 

Rund 250 Flüchtlinge in der Augsburger Gemeinschaftsunterkunft Neusässer Straße sind im Hungerstreik. Zu ihren Forderungen zählen: Geld statt Essenspakete, menschenwürdiges Wohnen und das Recht zu arbeiten, um sich selbst versorgen zu können. Alexander Thal vom Bayerischen Flüchtlingsrat fordert Bayerns Politiker auf, die Betroffenen ernst zu nehmen und mit ihnen zu reden.

Flüchtlingshilfsorganisationen besuchen eine Unterkunft - wie etwa in Augsburg. Und kurz darauf beginnt dort ein Hungerstreik. Das fällt auf.

Als wir heute morgen vom Hungerstreik in Augsburg erfuhren, da war genau das meine Sorge, dass nun in der Öffentlichkeit ein solcher Eindruck entsteht. Ich kann dazu nur sagen: Dem ist nicht so! Die Flüchtlinge sind selbständig denkende und handelnde Menschen. Die Entscheidung zum Hungerstreik haben sie ganz alleine getroffen. Wir selbst waren davon völlig überrascht.

Aber womöglich wurde den Flüchtlingen ja von ihren Unterstützern ein Hungerstreik nahegelegt?

Wir legen niemals irgendjemanden einen Hungerstreik nahe - aus einem ganz einfachen Grund: Der Hungerstreik ist ein riskantes politisches Instrument. Es drohen wirklich ernsthafte gesundheitliche Gefahren.

Haben die Flüchtlinge ihre Aktion nicht vorher angekündigt?

Nein. Als die Flüchtlingsinitiative Augsburg vom Boykott der Essenspakete erfuhr, sind die sofort zur Gemeinschaftsunterkunft geeilt, mit Kisten voller Lebensmittel und mit Geldspenden, um den Flüchtlingen wenigstens eine Notversorgung zu ermöglichen.

Und dann?

Die Flüchtlinge haben erklärt, dass sie im Hungerstreik sind. Sie haben den Unterstützern gesagt: 'Wir brauchen euer Essen und auch euer Geld nicht. Wir haben Forderungen, für die wir eintreten. Und die wollen wir durchsetzen.'

Ich habe Angst um die Leute. Wir müssen dafür sorgen, dass sich Ärzte um die hungerstreikenden Menschen kümmern.

Wie erklären Sie sich die plötzliche Eskalation?

Die Lage in Bayerns Flüchtlingslagern ist seit Jahren extrem schlecht. Natürlich haben die Menschen dort auch mitbekommen, dass der Landtag erst im Juni Verbesserungen beschlossen hat - etwa was die Auszugserlaubnis aus den Lagern betrifft. Nur bisher hat sich nichts, rein gar nichts getan. Die Flüchtlinge wollen sich nicht mehr länger hinhalten lassen.

Ist man da nicht zu ungeduldig - kurz vor dem Ziel?

Wir waren die letzten Wochen in vielen Flüchtlingsunterkünften - und ich bin entsetzt über die Zustände dort: überbelegte Zimmer mit Kakerlaken, ohne jede Privatsphäre für die Bewohner. Das ist nichts anderes als eine Zermürbetaktik, die die Rückkehr ins Heimatland fördern soll. Ich erwarte jetzt, dass Sozialministerin Christine Haderthauer endlich einmal ihre Arbeit macht und wenigstens die Landtagsbeschlüsse umsetzt.

Interview: Dietrich Mittler

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