Münchner Merkur, 19.06.2008

Ein Flüchtlingsheim zum Davonlaufen

UNTRAGBARE ZUSTÄNDE

Jahrelang leben Flüchtlinge in Zimmern wie diesem in der Unterkunft an der Rosenheimer Straße. Fotos: BFR [2] CHU [5]
Flüchtlinge hausen in München meist unter desolaten Bedingungen. Eine dieser schäbigen Unterkünfte bekommt am Montag hohen Besuch: Sozialministerin Christa Stewens will sich vor Ort ein Bild von den Zuständen machen. Wir waren vor ihr da.

Containerbauten. Viel Blech, dünne Wände, kleine Räume. An der Waldmeisterstraße in der Lerchenau steht eine von 19 Münchner Gemeinschaftsunterkünften für Flüchtlinge. Bilkis Taher Shamsedin, eine 48-jährige Kurdin aus dem Irak, teilt sich hier seit fünf Jahren mit zwei Frauen ein Zimmer. Das ist gerammelt voll: zwei Betten, eine Polsterliege, metallene Spinde, ein kleiner Fernsehtisch. So oder so ähnlich wohnen hier bis zu 250 Personen. Sie benützen gemeinsame Toiletten, Duschen, Küchen.

Mit seinen Toiletten ohne Brille und den kaputten Wänden wirkt dieser Ort wie eine heruntergekommene Jugendherberge. Doch hier bleiben die Menschen nicht nur ein paar Nächte, sondern Jahre. Wie lange, wissen sie nicht.

Auch Bilkis weiß es nicht. Vor Saddam Husseins Schergen floh sie einst nach Deutschland. Hier wurden ihre Gesuche um eine Aufenthaltserlaubnis immer wieder abgelehnt. Sie ist „geduldet“. Das heißt: Sie wird nicht ausgewiesen. Alle paar Monate muss dieser Status verlängert werden. Seit 2002 lebt Bilkis mit der Ungewissheit, dass ihre Zeit in Deutschland bald vorbei sein könnte.

Inzwischen fragt sie sich selbst, ob es so gut war hierherzukommen. Zurück kann sie nicht. Kurden werden im Irak nach wie vor umgebracht, zudem stellt ihr der Bruder ihres toten Mannes nach. Er hat ihr schon ihre sechs Kinder weggenommen. Dazu kommen ganz banale Gründe, die eine Rückkehr verhindern: Die chaotischen irakischen Behörden können keine Pässe für eine Rückkehr ausstellen.




Zilan (Name geändert, 29)
Zilan (Name geändert, 29)
ist Kurdin aus dem Irak. Seit 2001 lebt die fröhliche Frau im Container an der Waldmeisterstraße - mit fünf Kindern in zwei Zimmern. Ihr Mann arbeitet. Miete: 600 Euro.
Bilkis (48)
Bilkis (48)
ist Kurdin aus dem Irak. Nachdem ihr Mann starb, nahm ihr der Schwager ihre sechs Kinder weg. Sie floh 2002. Mit drei Frauen teilt sie sich ein 16-Quadratmeter-Zimmer.
Sabria (29)
Sabria (29)
ist Kurdin aus dem Irak. Sie kam vor acht Jahren. Ihr Mann arbeitet in einer Metzgerei. Bald ziehen sie nach Baden-Württemberg, wo sie eine Aufenthaltserlaubnis bekommen haben.
Sherab (26)
Sherab (26)
ist Tibeter. 1999 floh er vor der chinesischen Unterdrückung. Er wohnt am Dreilingsweg. Er jobbte, bis der Arzt es ihm verbot. Er sucht neue Arbeit und wünscht sich einen Fernseher.




Bilkis' Tagesablauf ist fast immer gleich. „Schlafen, spazieren, mit Leuten reden, wieder schlafen“, sagt sie. „Ich denke und weine viel.“ Auch arbeiten ist schwierig. Putzen etwa darf sie nur, wenn es die Ämter genehmigen und kein Deutscher den Job haben will. Und verdient sie etwas, darf sie sich keine Wohnung suchen, sondern muss für 200 Euro ein Bett in der Unterkunft mieten.

Die Zustände dort seien „keinem Menschen über Jahre hinweg zuzumuten“, wettert Alexander Thal vom Bayerischen Flüchtlingsrat. Von „jahrelanger Kasernierung unter menschenunwürdigen Bedingungen“ sprechen die Grünen. Ein Drittel der Münchner Unterkünfte sind Container. Anfang der 90er-Jahre wurden sie für die starken Flüchtlingsströme gebaut - als Notlösung. Sie stehen noch heute, obwohl die Asylbewerberzahlen seit einer Gesetzesänderung 1993 extrem zurückgegangen sind -auf zuletzt 20 000 in Deutschland. Nun hat die Grünen-Landtagsfraktion einen Gesetzentwurf eingebracht. Darin stellen sie vergleichsweise bescheidene Forderungen, um die Situation der Flüchtlinge zu verbessern. Forderungen, die von Realismus geprägt sind, damit auch die CSU zustimmt. So sollen zum Beispiel „Personen mit besonderen Bedürfnissen“, etwa traumatisierte Menschen oder Alleinerziehende, nicht in Sammelunterkünften wohnen müssen. Hilfsorganisationen wie dem Flüchtlingsrat geht das nicht weit genug.

Ein Besuch in der Unterkunft ist nicht einfach, für Journalisten schon gar nicht. Tage vorher muss die Regierung von Oberbayern eine Genehmigung erteilen. Der Flüchtlingsrat sagt, so hätten die Behörden die Chance, schnell noch zu renovieren. Tatsächlich wirkt es ein wenig inszeniert, dass gerade an dem Tag, an dem sich die Presse umsieht, der Hausmeister ein Abflussrohr repariert. „Das war gar nicht kaputt“, sagt eine Bewohnerin den Reportern. An der Wand schimmern Schimmelflecken unter frischer Farbe. Frei herumlaufen dürfen die Journalisten nicht, eine Regierungsvertreterin begleitet sie überall hin.

Auch ins Gemeinschaftszimmer, in dem Luis Blaschke ehrenamtlich Deutschstunden gibt. Der pensionierte Feuerwehrmann kommt zweimal die Woche. Warum es mit dem Deutsch bei vielen Flüchtlingen nach Jahren noch hapert? „Die können sich nicht konzentrieren, wenn sie so eng zusammenwohnen und nebendran Kinder spielen“, sagt er. Und: „Man muss sich nicht wundern, wenn die hier körperlich und geistig abbauen. Und wir nennen uns führende Nation“, schickt er sarkastisch hinterher. Bei solchen Sätzen erstarrt die Miene der Regierungsvertreterin zu Eis.



Oft gehen Wasserhähne und Kochplatten kaputt. Ob die Bewohner verantwortungslos damit umgehen oder die Dinge einfach verschleißen, ist eine Streitfrage.

Oft gehen Wasserhähne und Kochplatten kaputt. Ob die Bewohner
verantwortungslos damit umgehen oder die Dinge einfach verschleißen,
ist eine Streitfrage.


Dabei seien die Flüchtlinge mit schuld an den desolaten Zuständen, sagt sie. „Wenn sie das Wasser in der Dusche laufen lassen, weicht die Decke des unteren Stocks halt irgendwann durch.“ Zudem hätten viele Flüchtlinge, gerade aus Afrika, noch nie mit Kochplatten oder Wasserhähnen hantiert. Doch dass diese so kaputtgehen, glaubt Thal vom Flüchtlingsrat nicht: „Vier Doppelkochplatten, die von 70 Leuten dauerbenutzt werden - das hält kein Gerät aus“, sagt er.

Hinzu kamen Auflagen, die „besonders hart sind, typisch Oberbayern“, sagt Grünen-Fraktionschefin Margarete Bause. Etwa, dass Flüchtlinge mit Essenspaketen versorgt werden, sich ihre Nahrung also nicht aussuchen können - während es in anderen Bundesländern Lebensmittel-Gutscheine gibt. Zudem will die bayerische „Asyldurchführungsverordnung“ mit der Unterbringung in den Heimen explizit „die Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland fördern“ - weswegen die Unterkünfte absichtlich vernachlässigt würden, sagt Bause. Und wettert: „Als ob irgendjemand freiwillig seine Heimat verließe.“


Grünen-Fraktionschefin Margarete Bause und Schauspieler Ralf Bauer sahen sich in der Unterkunft am Dreilingsweg in Langwied um. Bauer setzt sich vor allem für Tibeter ein.
Grünen-Fraktionschefin Margarete Bause und Schauspieler Ralf Bauer sahen
sich in der Unterkunft am Dreilingsweg in Langwied um.
Bauer setzt sich vor allem für Tibeter ein.


„Viele Deutsche denken: Damit haben sie es besser als zuhause, die sollen sich nicht beschweren“, sagt Thal. Aber ein reiches Land könne Menschen nicht über Jahre in „Lagern“ einsperren. Gerade die Kinder bemerken die unterschiedlichen Standards - sie gehen normal zur Schule.

Weil die Grünen einen Dringlichkeitsantrag stellten, besucht am Montag die bayerische Sozialministerin Christa Stewens (CSU) mit einer Delegation die Unterkunft an der Waldmeisterstraße, um sich ein Bild zu machen. Vielleicht wird sie ja auch mit Bilkis sprechen.

VON CHRISTINE ULRICH

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