Neues Deutschland, 10.12.2010
Ein bisschen Hoffnung in der Bruchbude
Nach dem Boykott von Essenspaketen: Zu Besuch in einem Coburger Asylbewerberheim
»In die Bruchbude wollen Sie?« Der Taxifahrer wundert sich, fährt aber trotzdem zum Asylbewerberheim in der Coburger Uferstraße. Fast drei Wochen lang haben die Flüchtlinge dort die Annahme ihrer Essenspakete boykottiert – zusammen mit Hunderten Asylbewerbern in ganz Bayern. Sie wollten auf ihre schlechten Lebensbedingungen hinweisen und forderten Geld anstatt der zugeteilten Essensrationen. Der Taxifahrer hat dafür kein Verständnis. »Ich bin bestimmt nicht rassistisch, aber wer in ein fremdes Land kommt und hier Zuflucht sucht, muss essen, was auf den Tisch kommt.« Die bayerische Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) sieht das ähnlich: »Wer mit den Leistungen in Deutschland nicht zufrieden ist, kann jederzeit zurück.«
Die Coburger Asylbewerber wollen bleiben. In dem senfgelben Gebäude wohnen jene, die auf ihre Anerkennung als Flüchtling warten. Sie haben laufende Asylverfahren oder wehren sich gegen ihre Abschiebung. Manche besitzen keinen Pass – nicht immer unabsichtlich, denn ohne Papiere müssen sie in Deutschland bleiben, bis die Staatsbürgerschaft geklärt ist. Die Prozedur kann Jahre dauern. Eine lange Zeit für ein Leben in einem Flüchtlingsheim, das eigentlich nur als Übergangsstation gedacht ist. Kein Wunder, dass Gyan Gurung das Essen zum Hals raushängt. »Es ist immer das Gleiche«, klagt der Bhutaner. Er ist seit 14 Jahren hier, das Saftangebot hat sich seitdem nicht verändert. Apfelsaft, Orangensaft, Eistee. Er kann die Tetrapacks nicht mehr sehen. Was sie essen wollen, können die 50 Bewohner in der Uferstraße zweimal wöchentlich auf Listen ankreuzen. Die Auswahl ist nicht schlecht, aber begrenzt. Auf Dauer ist das monoton.
Dass die grundlegende Versorgung von Flüchtlingen mit Nahrung, Kleidung oder Unterkunft durch Sachleistungen zu decken ist, steht im Asylbewerberleistungsgesetz des Bundes. Die genaue Auslegung ist jedoch Ländersache. So haben sich mehrere Bundesländer gegen Essenspakete und für die Auszahlung in Form von Chipkarten oder Gutscheinen entschieden.
Mit Gutscheinen wären die Coburger Flüchtlinge auch zufrieden. Hauptsache sie können frei entscheiden, was sie essen und sich die Nahrungsmittel gemäß ihrer Kultur und Religion kaufen. »Wir sind keine Kaninchen, die gefüttert werden müssen«, schimpft Sergej Krarchenko. Der 37-Jährige kam vor 19 Jahren aus dem heutigen Usbekistan nach Deutschland. Er spricht perfektes Deutsch mit leichtem bayerischen Akzent. Wenn er redet, lacht sein Gesicht, doch seine Worte sind scharf. Er spricht von »Scheißquälerei« und der »Willkür« von Behörden. Der Frust ist groß.
Ziel erreicht: Medienaufmerksamkeit
Um die Essenspakete geht es nur am Rande. Der Boykott ist in Coburg seit Dienstag vorbei. Er dauerte, solange die Flüchtlinge auf Vorräte zurückgreifen konnten. Bayernweit setzen derzeit noch rund 100 Flüchtlinge den Protest fort. Das Ziel sei aber erreicht, sagt Sergej: Medienaufmerksamkeit.
Schlagzeilen machte das Coburger Asylbewerberheim nach einem Besuch des bayerischen Flüchtlingsrats Anfang November. Katastrophale bauliche und hygienische Zustände wurden festgestellt: Wasserschäden, Risse im Mauerwerk, freiliegende elektrische Kabel und überall Kakerlaken. »Am besten sprengen«, soll FDP-Stadtrat Hans-Heinrich Eidt in Anbetracht der schlechten Zustände ausgerufen haben. Eigentlich sollte das Haus Anfang des Jahres geschlossen werden. Wegen der steigenden Flüchtlingszahlen ist das jedoch nicht möglich.
In einem offenen Brief an die Regierung Oberfranken, in deren Zuständigkeit die Unterkunft fällt, forderte Coburgs zweiter Bürgermeister Norbert Tessmer (SPD) »Sofortmaßnahmen«, um »menschenwürdige Standards« herzustellen. Sofort kamen zumindest die Maler – pünktlich vor einem Rundgang von Journalisten und Landtagsabgeordneten, die sich von den »unhaltbaren« Zuständen Mitte November ein Bild machen wollten.
Laut Corinna Boerner, Sprecherin der oberfränkischen Regierung, wird das Gebäude fortwährend Instand gehalten. 16 000 Euro habe man in diesem Jahr allein bis November investiert, die Sanierungen seien schon länger geplant gewesen. »Es ist nicht unsere schönste Unterkunft«, gibt sie zu. »Gleichwohl entspricht sie den rechtlichen Anforderungen.« Doch sie bestätigt, dass weitere Maßnahmen notwendig sind. Eine Bestandsaufnahme wurde gemacht und wird derzeit ausgewertet.
Einige Wochen nach den Malerarbeiten blättert an den neu gestrichenen Heizungsrohren im Flur schon wieder die Farbe ab. Gyan Gurung führt in Flipflops durch das dreistöckige Gebäude. Warm ist es zumindest. Zwei Handwerker verkleiden gerade die Steckdosen. In den unteren Etagen gibt es ein paar neue Toiletten und Waschbecken, auch der Linoleumboden wird ausgewechselt. Neben der Duschkabine, die sich die alleinstehenden Männer bisher teilten, steht jetzt ein zweites Exemplar. Doch im Dachgeschoss müssen drei Familien noch immer mit einer Dusche und einem Waschbecken auskommen.
Es war wie auf einem Friedhof
Alexander Thal vom Bayerischen Flüchtlingsrat ist bei der ersten Besichtigung in der Uferstraße dabei gewesen. Er ist froh, dass die schlimmsten Mängel beseitigt wurden. »Das ändert aber nichts an unserer grundsätzlichen Kritik, diese Art der Lagerunterbringung abzuschaffen. Die Leute sollen in Wohnungen dürfen.« Verbessert habe sich vor allem die Stimmung unter den Flüchtlingen. Nach seinem ersten Besuch war er »fertig mit den Nerven«. So etwas hatte er lange nicht gesehen. Diese Hoffnungslosigkeit. Dass sie nun wahrgenommen werden, ist für die Flüchtlinge ein Fortschritt, meint er. »Wir haben ein bisschen Hoffnung«, bestätigt der Algerier Mohamed Kerachi. »Es war wie ein Friedhof hier.« Viele Leute trinken, die Angst vor Abschiebung ist groß, erzählt er. Einige randalieren auch, fügt Sergej trocken hinzu. »Die Leute drehen einfach durch.«
Sie wollen Arbeit, keinen neuen Fußboden
Von den Neuerungen in seiner Bleibe ist Sergej wenig beeindruckt. »Es wird etwas verbessert, aber an der rechtlichen Lage ändert sich ja nichts. Oberfranken ist ziemlich stur.« Wichtig sei nicht, wie der Fußboden aussieht, wichtig wäre der »freie Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt«. Denn das Schlimmste ist die Untätigkeit. Einige schauen fern. Andere versuchen ein bisschen Deutsch zu lernen. Ein junger Afghane hat sich von Freunden einen Sprachkurs auf sein Smartphone spielen lassen. Seit vier Monaten ist er hier, er spricht schon ganz gut.
Unter Umständen kann eine Arbeitserlaubnis erteilt werden, wenn ein Job gefunden und vom Arbeitsamt genehmigt wurde. Geprüft wird zuvor, ob bevorzugt ein Deutscher oder anderer EU-Bürger die Arbeit bekommen könnte. »Welcher Arbeitgeber wartet solange auf mich?«, fragt Mohamed. Der 38-Jährige ist seit fast 15 Jahren in Deutschland. Einmal hätte er einen Job bei einer Zeitarbeitsfirma bekommen können. In der folgenden Woche sollte er anfangen. Das Arbeitsamt brauchte sechs Wochen für die Bearbeitung. Der Job war da bereits weg. Mohamed hat auch schon schwarz gearbeitet, auf dem Bau. Das brachte ihm eine 500-Euro-Strafe ein. 150 Euro Strafe bezahlt er gerade in Monatsraten ab, weil er die Residenzpflicht verletzt und den Landkreis verlassen hat. Seit acht Jahren verdient er sich ganz legal etwas hinzu. Er putzt Bad und Küche auf seiner Etage. Diese »gemeinnützige Arbeit« hat er vom Sozialamt erhalten. Monatlich arbeitet er 70 bis 79 Stunden, mit 1,05 Euro Stundenlohn. Laut Asylbewerberleistungsgesetz sollen insbesondere solche Arbeitsgelegenheiten zur Verfügung gestellt werden, die der Aufrechterhaltung der Flüchtlingsheime dienen.
Die Bewohner in der Uferstraße wissen davon nichts. Auch die Behörden scheinen ratlos. Fragt man danach, wer für die Vergabe von Arbeitsgelegenheiten an Langzeitgeduldete wie Mohamed, Gyan oder Sergej zuständig ist, schieben sich die Behörden gegenseitig die Verantwortung zu. Ein Telefonmarathon, der von der Regierung Oberfranken über das bayerische Sozialministerium zum Innenministerium des Landes führt. Schließlich räumt das Sozialministerium ein: Wir sind doch zuständig. Eine Auskunft zu den Beschäftigungsmöglichkeiten kann man so schnell aber nicht geben. Sicher ist nur: Eine Gutscheinregelung anstelle der Essenspakete ist in Bayern nicht in Sicht. Man verweist immer wieder auf das Bundesgesetz, das keinen Spielraum für Veränderungen lasse.
Die bayerischen Flüchtlinge wollen sich damit nicht begnügen. Am 21. Dezember möchten sie vor dem Sozialministerium in München protestieren. Die Frage ist nur, wie sie trotz Residenzpflicht und 40 Euro Taschengeld im Monat dahin kommen.
Jenny Becker
Quelle: Neues Deutschland