junge Welt, 24.08.2009
»Egal, was ich anfangen wollte, nichts durfte ich!«
Eine 19 Jahre alte Kurdin bekommt den Menschenrechtspreis der Stiftung Pro Asyl. Ein Gespräch mit Nissrin Ali
Die 19jährige Kurdin Nissrin Ali, seit 2002 als »geduldeter Flüchtling« in Deutschland, wehrt sich gegen den Lagerzwang. Sie erhält den diesjährigen Menschenrechtspreis der Stiftung Pro Asyl
Interview: Gitta Düperthal
Am 5. September werden Sie und Felleke Bahiru Kum den Menschenrechtspreis von Pro Asyl erhalten. Was hat Sie dazu gebracht, sich gegen die Diskriminierung von Flüchtlingen zu engagieren?
Ich habe in Deutschland schlechte Erfahrungen gemacht – ich bin hier nämlich fast genauso rechtlos wie einst als staatenlose Kurdin in Syrien, von wo ich geflohen bin. Dort durfte meine Familie kein Haus besitzen, wir konnten keinen Führerschein machen, das Land nicht verlassen und bekamen auch keinen Paß. Wie viele andere Staatenlose wurde mein Vater mehrmals ohne Grund verhaftet.
Als ich 2002 als 13jährige mit meiner Familie nach Deutschland kam, wurde nichts besser. Ich mußte im Lager leben. Den Hauptschulabschluß habe ich zwar bestanden – aber ich durfte keine Ausbildung zur Köchin machen. Als ich zum Ausländeramt ging und sagte, daß ich arbeiten will, erwiderte mir der Sachbearbeiter: »Ich bin doch nicht verrückt, und gebe dir eine Arbeitserlaubnis – dann bekommst du ja gleich den deutschen Paß.«
Um nicht zu Hause herumsitzen zu müssen, wollte ich im April 2006 die Berufsschule für Hauswirtschaft besuchen. Das ging aber nicht, weil es hieß, die »Duldung« sei in zwei Monaten vorbei. Egal, was ich anfangen wollte, nichts durfte ich! Ein Arzt sagte mal zu mir: »Ihr macht ja nichts, nur Essen, Trinken und Schlafen.« Als ich ihm dann erzählte, daß ich gar keine Ausbildung machen darf, war er überrascht und meinte: Du mußt deine Geschichte erzählen, damit alle verstehen, daß ihr nicht »nur faul« seid.
Und dieser Empfehlung sind Sie nachgekommen?
Auf einer Pressekonferenz am 10. Dezember vergangenen Jahres berichteten u. a. die Organisationen »Karawane« und »Jugendliche ohne Grenzen« gemeinsam mit Flüchtlingen über unsere Lage. Viele von uns sind wütend und wollen endlich ihre Meinung sagen. Es gibt aber auch Flüchtlinge, die aufgegeben haben oder die sogar psychisch krank sind. Einige Familien leben schon seit 13 Jahren beengt und ohne jegliche Perspektive im Flüchtlingslager.
Ich selber habe weiter gekämpft, um endlich einen Job zu bekommen. Im März 2009 war es dann soweit: Zweimal die Woche durfte ich ehrenamtlich für das Evangelische Bildungswerk in Bayreuth arbeiten. Das sind im wesentlichen Sekretärinnenarbeiten wie etwa Kopien ziehen.
Welche weiteren Schikanen müssen Flüchtlinge erdulden?
Alles ist völlig willkürlich: Der eine kriegt etwas, der andere nicht. Unsere Familie besteht aus acht Personen – aber niemand von uns erhält das ohnehin knapp bemessene monatliche Taschengeld von 41 Euro für Erwachsene und 20 Euro für Kinder. Wir bekommen überhaupt nichts! So ergeht es auch einigen anderen im Flüchtlingslager in der Wilhelm-Busch-Straße in Bayreuth, wo wir leben. Man zwingt die Leute geradezu zur Schwarzarbeit oder zum Klauen.
Ein anderes Problem ist die Residenzpflicht: Wir dürfen die Stadt nicht verlassen. Selbst als ich am 23. April zum Landtag nach München wollte, um dort um 10.00 Uhr die Flüchtlingssituation darzustellen, hat mir die Behörde Probleme gemacht. Ich sollte erst morgens losfahren dürfen – »Macht doch nichts, wenn du zu spät kommst«, hieß es. Eine Woche lang mußte ich darum kämpfen, pünktlich erscheinen zu können.
Haben Sie durch Ihre Öffentlichkeitsarbeit etwas erreichen können?
Ich kämpfe und habe nicht mehr so viel Angst wie zuvor. Sich zu wehren ist allemal besser, als mit acht Personen in vier Zimmern im Flüchtlingsheim Wände anzustarren. Den Politikern im Landtag habe ich sinngemäß gesagt: »Kinder und Jugendliche sind die Zukunft – sie müssen aber im Lager leben! Ihr könnt mein Leben und das vieler anderer zerstören – ihr könnt es aber auch verbessern.« Erst war Stille, dann hörte ich das Klatschen der Anwesenden.
Es gibt aber auch durchaus Solidarität: Studenten geben Flüchtlingskindern Nachhilfe- oder Bastelstunden, sie organisieren kleine Ausflüge. Eine wichtige Erfahrung für mich ist, daß ich als 19jährige den Menschenrechtspreis bekomme. Mein Kampf war also nicht umsonst – ich werde weiterhin für unsere Rechte eintreten.