Süddeutsche Zeitung, 05.12.2008

"Die Zustände sind katastrophal"

Eine ehemalige Flüchtlingsbetreuerin über das Leben in Containern und das Problem der Zwangsunterbringung

Maria Brand, 62, hat als Diplom-Sozialpädagogin fast 13 Jahre lang als Caritas-Mitarbeiterin Flüchtlinge betreut. Im Ruhestand besucht sie ehrenamtlich für Amnesty International Flüchtlinge in Abschiebehaft. So auch die drei irakischen Christinnen, die, wie berichtet, aufgrund mangelhafter Zusammenarbeit dreier Behörden sechs Wochen im Gefängnis saßen. Sie kritisiert die Lebensbedingungen für Flüchtlinge als politisch gewollte Ausgrenzung.

SZ: Der Landtag hat die Regierung von Oberbayern nun gezwungen, zwei Containerbauten in München wegen unzumutbarer hygienischer Bedingungen zu schließen. Wie haben Sie zu Ihrer Zeit bei der Caritas diese Unterkünfte erlebt?

Brand: Mit einem Wort: katastrophal.

SZ: Schon immer?

Brand: Ich habe fast alle Container-Unterkünfte in München kennen gelernt und selber in vier solcher Einrichtungen gearbeitet. Die älteren von ihnen waren schon Mitte der 90er Jahre in einem schlechten, abgewohnten Zustand. Man konnte sie gar nicht sauber halten aufgrund ihrer provisorischen und minderwertigen Ausstattung und bei dieser dichten Belegung.

SZ: Die Regierung von Oberbayern gibt heute den Flüchtlingen die Hauptschuld an der Rattenplage, nach dem Motto: Sie müssen halt besser putzen.

Brand: Wenn man einen Container mit vier Personen belegt, muss man sich nicht wundern. Bei einer Familie mag das noch funktionieren, aber stellen Sie sich vor, vier Männer - manchmal sogar aus verschiedenen Ländern und unterschiedlichen Kulturen - werden in eine solche Box gelegt. Wie realistisch ist unter diesen Umständen Ordnung, Sauberkeit, Hygiene? Ich habe immer wieder erlebt, dass viele Bewohner psychisch krank wurden und sogar Familien in der Beengtheit zerbrachen.

SZ: Die Regierung sagt, die Caritas-Mitarbeiter müssten die Container-Bewohner zu mehr Sauberkeit anhalten.

Brand: Das ist unglaublich. Als es vor 15 Jahren noch mehr Betreuungspersonal gab und wir uns beispielsweise um die gesundheitlichen Gefahren für die Flüchtlinge kümmerten, hat man dies kritisch gesehen als Einmischung.

SZ: Wann zum Beispiel?

Brand: Als wir in den 90ern die Lindan-Verseuchung von Unterkünften publik machten. Damals hatte man gegen Ungeziefer einfach Lindan eingesetzt, in den Schlafräumen versprüht, obwohl es hochgiftig ist. Da wollte man gerne, dass wir uns raushalten. Und heute soll die Caritas für Hygiene sorgen. Die Mitarbeiter der Wohlfahrtsverbände in den Lagern, so nenne ich diese Unterkünfte, sollen "benutzt" werden, Mängel zu beheben, die im System der zwangsweisen Unterbringung in Containern liegen. Die Kollegen versuchen die schlimmsten Auswirkungen, von der Zwangsverpflegung mit Essenspaketen über die unzureichende medizinische Notversorgung bis zum oft herrschenden Arbeitsverbot, durch gute Betreuung "abzufedern". Die Betreuer werden sozusagen als Deckel gebraucht, damit die Stimmung nicht überkocht in den Containern.

SZ: Wie geht es den drei Irakerinnen, die Sie in Abschiebehaft betreuten?

Brand: Ich weiß leider fast gar nichts mehr. Nach ihrer Haftentlassung am 21. November durften sie nur noch drei Tage in München bleiben, dann wurden sie nach Zirndorf bei Nürnberg verbracht.

SZ: Warum das?


Brand: Es heißt, dass die Einrichtung in München überfüllt sei, in letzter Zeit kamen viele neue Flüchtlinge aus dem Irak. Es drängte sich mir aber das Gefühl auf, dass dies kein Zufall, sondern eine Retourkutsche der Behörden dafür sein könnte, dass jemand Ärger machte in Form von öffentlichem Aufsehen.

SZ: Können Sie das belegen?

Brand: Nein, aber man hätte es in diesem Fall anders handhaben können. Für diese drei Frauen wäre es nach der langen Flucht und nach der Haft gut gewesen, endlich an einem Ort verbleiben und zur Ruhe kommen zu können. Zudem hatte sich in München bereits ein kleines Netz von Helfern gebildet. In Zirndorf haben die Irakerinnen erstmals von Null anfangen müssen. Außerdem hat ihnen die Polizei bei der Einreise das Handy abgenommen und bis heute noch nicht zurück gegeben. Das erschwert den Kontakt zur Tochter und Schwester, die in Essen lebt, zusätzlich.

SZ: Wie wurden sie behandelt im Frauengefängnis Neudeck?

Brand: Das Personal hat getan, was möglich war. Generell aber sind die Bedingungen für weibliche Abschiebehäftlinge in Neudeck deutlich schlechter als für Männer.

SZ: Inwiefern?

Brand: Männliche Abschiebehäftlinge sind in Stadelheim in einer eigenen Abteilung untergebracht, getrennt von Straftätern. Somit haben Helfer dort immer Zugang. In Neudeck dagegen müssen die Flüchtlingsfrauen, die ja nichts verbrochen haben, zusammen mit mutmaßlichen Straftäterinnen einsitzen. Und als Besucherin komme ich nur in das Gefängnis hinein, wenn ich konkret weiß: Diese oder jene Frau sitzt dort und bittet um meine Hilfe.

SZ: Wie geht es weiter für die Irakerinnen?

Brand: Wie das Asylverfahren endet, ist natürlich offen. Aber sie sind jetzt immerhin frei und werden in Deutschland bleiben. So bleibt ihnen auch eine große Rechnung für die Kosten der Abschiebung erspart.

SZ: Welche Rechnung?

Brand: Jeder Flüchtling, der in Abschiebehaft kommt, muss pro Person und Tag rund 70 Euro zahlen. Für die drei Christinnen bedeutet das bei mehr als 40 Tagen im Gefängnis eine Rechnung über rund 3000 Euro pro Person - 9000 Euro für eine Familie, die ohnehin nichts mehr hat. Wäre es auch noch zur Abschiebung gekommen, hätte sich diese Summe um ein Vielfaches erhöht, da diese Kosten addiert worden wären. Das ist eine Doppelbestrafung: Zuerst die Haft und dann die Rechnung dafür.

SZ: Was passiert, wenn sie nicht zahlen?

Brand: Das kann später enorme Probleme geben, wenn sie aus einem anderen Land nach Deutschland einreisen wollen, um Angehörige zu besuchen. In vielen vergleichbaren Fällen durften Flüchtlinge mit einer offenen Rechnung nicht einreisen.

SZ: Warum geht der Staat so mit Menschen um, die hierher gekommen sind, weil sie Schutz suchen?

Brand: Das fragten mich die Flüchtlinge auch immer wieder. Ich musste ihnen dann ehrlich sagen: Weil Sie hier nicht willkommen sind.

Interview: Bernd Kastner

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