Bayerische Staatszeitung, 04.12.2009

„Die Unterbringung ist erbärmlich“

Alexander Thal, Geschäftsführer des Bayerischen Flüchtlingsrats, über Asylpolitik in Zeiten der Wirtschaftskrise

Der Bayerische Flüchtlingsrat hält die Unterbringung in Sammelunterkünften für zu teuer.

 

Sind Sammelunterkünfte für Flüchtlinge preiswerter als eigene Wohnungen? Darüber streitet derzeit der Bayerische Flüchtlingsrat mit Bayerns Sozialministerium. Doch es geht um mehr. Die Unterbringung führt laut Geschäftsführer Thal häufig zu erheblichen gesundheitlichen Schäden.

 

BSZ Herr Thal, betreiben Sie „ Volksverdummung im großen Stil"? Das behauptet Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU).
THAL Diesen Vorwurf sehe ich gelassen. Wir haben für unser Gutachten, in dem wir die Kosten für die Unterbringung der Flüchtlinge in Wohnungen und in Lagern verglichen haben, sehr gründlich recherchiert. Ich gehe davon aus, dass diese Zahlen korrekt sind - natürlich nur soweit, wie sie überhaupt korrekt sein können, da wir mit einer Schätzung der Lagerkosten arbeiten mussten.

BSZ Laut einer Berechnung Ihres Verbands spart der Freistaat 13,6 Millionen Euro, wenn alle Flüchtlinge in eigenen Wohnungen leben würden. Warum hat das Sozialministerium niedrigere Beträge errechnet?
THAL Als wir das Gutachten veröffentlicht hatten, hat das Sozialministerium offenbar noch einmal in sei¬nem Haushalt recherchiert. Die Mitarbeiter haben dabei aber wohl weitgehend nur die Liegenschaften ins Visier genommen. Es fehlen in der Aufstellung des Ministeriums wichtige Posten wie die kosten für den Hausmeister, Frisch- und Abwasser sowie Müllgebühren und Heizkosten. Doch gerade Letztere fallen ins Gewicht. Schließlich sind die Flüchtlingsunterkünfte in Bayern in einem erbärmlichen Zustand. Das sind in der Regel uralte Gebäude, die sehr schlecht isoliert sind. Da verpufft wahnsinnig viel Energie.

BSZ Leverkusen bringt seine Flüchtlinge kostensparend in privaten Wohnungen unter. Ist das Modell auf bayerische Städte übertragbar?
THAL Das ist eins zu eins übertragbar. Alle Städte und Landkreise richten sich nach demselben Bundesgesetz. Bayern hat jedoch zur Umsetzung dieses Bundesgesetzes ein eigenes Landesgesetz geschaffen, darin allerdings die Unterbringungsmodalitäten massiv verschärft. Als Folge wird die Unterbringung in Sammelunterkünften sehr rigide gehandhabt, während die Unterbringung in Lagern in anderen Bundesländern mittlerweile so gut wie überhaupt nicht mehr vorkommt. Das Ganze liegt allein im Ermessen des Freistaats. Er könnte jederzeit das Gesetz ändern.

BSZ Im Innenministerium rechtfertigt man die Sammelunterkünfte damit, dass so der Ausreisedruck auf die Flüchtlinge erhöht werden soll.
THAL Jemandem, der das sagt, empfehle ich, einfach mal einen Blick in die Unterkünfte zu werfen. Nehmen sie zum Beispiel die Tausenden Flüchtlinge aus dem Irak, von denen viele in diesen Lagern leben. Bei ihnen kommt weder eine Abschiebung noch eine Ausreise in Betracht. Deshalb ist es inhuman, diese Menschen so unter Druck zu setzen. Sie werden dadurch nur kranke ausreisen können sie trotzdem nicht.

BSZ Welche gesundheitlichen Folgen können das sein?
THAL Flüchtlingslager machen krank - sowohl körperlich als auch psychisch. Sie zermürben Menschen, die nach ihrer Flucht mit der Hoffnung auf Sicherheit und eine Perspektive nach Deutschland kommen. Sie kommen mit viel Energie an. Nach ein paar Jahren in den Lagern sind jedoch viele von ihnen gebrochene Menschen, die es kaum mehr schaffen, ihren Alltag zu bewältigen.

BSZ Entsteht nicht auch ein immenser Schaden für die deutsche Volkswirtschaft? Schließlich flüchten oft gut ausgebildete Menschen.
THAL Genauso ist es. Nehmen sie das Beispiel eines Äthiopiers, der mehr als elf Jahre in bayerischen Flüchtlingslagern, verbracht hat, bevor er schließlich eine Aufenthaltserlaubnis bekam. Der hat jetzt natürlich keine Chance mehr. Denn wer stellt bitte schön einen Menschen ein, der elf Jahre Lücke in seinem Lebenslauf hat? Stattdessen muss er jetzt wie soviele andere auf Kosten des Steuerzahlers umgeschult und weiterqualifiziert werden.

BSZ Wie kann man das ändern?
THAL Würde man den Flüchtlingen gleich erlauben zu arbeiten, würden insbesondere die vielen Hochqualifizierten sehr rasch unterkommen. Doch heute lässt man sie jahrelang in der Warteschleife und drängt sie in eine passive Abhängigkeit von Sozialleistungen.

BSZ Derzeit berät die Innenminister-Konferenz, ob Zehntausende Flüchtlinge, die noch keinen Job haben, trotzdem bleiben können. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat im Vorfeld angekündigt, er wolle, hier hart bleiben.
THAL Das ist eine perfide Strategie. Man nimmt den Leuten über Jahre hinweg die Möglichkeit zu arbeiten. Und dann heißt es plötzlich: Wenn ihr selber für euren Lebensunterhalt sorgen könnt, dann dürft ihr auch bleiben. Wie soll das angesichts des vorherigen Zwangs zur Untätigkeit gehen?

BSZ Welche Rolle spielt dabei derzeit die Wirtschaftskrise?
THAL Die wirtschaftlich schwierigen Bedingungen erschweren die Lage der Flüchtlinge noch weiter. Deswegen muss die Bleiberechtsregelung dringend verändert werden. Es darf nicht zur Auflage gemacht werden, dass alle Flüchtlinge ihren Lebensunterhalt selbst sichern sollen. Wenn wir erst zermürben, müssen wir dann auch helfen.

BSZ Zurzeit sieht es so aus, dass Flüchtlinge, deren Bleiberecht ausläuft, noch zwei Jahre bleiben dürfen.
THAL Der angestrebte Kompromiss reicht jedoch nicht aus, da er nur die Flüchtlinge betrifft, die von der Regelung aus dem Jahr 2007 betroffen sind. Viele andere Flüchtlinge bleiben jedoch außen vor.

 

tl_files/2009_Pressefotos/09-12-04_Bayerische_Staatszeitung2.jpgAlexander Thal ist der Geschäftsführer des vor allem von Spenden finanzierten Flüchtlingsrates.

 

 

Interview: TOBIAS LILL, ALEXANDRA KOURNIOTI

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