Süddeutsche Zeitung, 10.05.2006

Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse

Nach einer Demo gegen Zwangsverpflegung in einer Flüchtlingsunterkunft: Eine Justizposse findet ihr Ende

Ursache des Streits: Die Verpflegung für Flüchtlinge
Déjà-vu im Justizzentrum. Neulich, im März, saß man schon einmal zusammen in einem dieser düsteren Gerichtssäle. Schnell ging es damals, die Verteidigung plädierte auf Freispruch, der Staatsanwalt auch, alle schienen zufrieden (SZ berichtete). Doch der Eindruck täuschte. Kurz darauf legte die Staatsanwaltschaft, politische Abteilung, Berufung ein gegen den von der Staatsanwaltschaft beantragten Freispruch. Justiz paradox?

Und jetzt sitzen die nächsten drei Täter im Saal, wieder geht es geht um eine angebliche Straftat, geschehen an einem Junitag 2005 zwischen 11.15 und 12.28 Uhr, Tatort: Flüchtlingsunterkunft am Olympiapark. Dort fand eine Demonstration statt gegen die Zwangsverpflegung von Flüchtlingen mit Essenspaketen. Eine Demo mit Folgen: Strafbar gemacht haben sich aus Sicht der Ermittler sechs deutsche Unterstützer, weil sie sich zum Demo-Beginn auf dem Gelände der Unterkunft aufhielten. Sie hätten ein paar Meter weiter auf der Straße stehen müssen. Hausfriedensbruch!, sagt der Hausherr, die Regierung von Oberbayern. Staatsanwaltschaft und Polizei beginnen zu ermitteln, heraus kommen sechs Strafbefehle.

Nun also sitzen drei Demonstranten auf einmal auf der Anklagebank. Claus Schreer, 67, Grafiker von Beruf, Ober-Linker aus Berufung; David Urban, 25, Fahrradkurier; Hans-Georg Eberl, 30, Student. Sie sind aus der Menge der rund 50 Demonstranten herausgepickt worden, weil die Polizei sie schon kennt. Sie wollten die Strafe in Höhe von 30 Tagessätzen ä 30 Euro nicht zahlen. Eberl, roter Stern auf der Brust, sagt, man sei damals von den Flüchtlingen eingeladen worden in ihr "Lager", um den "Kampf gegen die Essenspakete zu unterstützen". Nun solle die Solidarität mit den Flüchtlingen kriminalisiert werden. Schreer sagt: "Ich verstehe die ganze Verhandlung nicht." Es sei schließlich nicht Aufgabe der Demonstranten, sich kundig zu machen, wo sie zu stehen hätten, das sei Aufgabe der Polizei. Wie schon im März stellt ein Polizist als Zeuge bereit. Damals hat er ausgesagt, dass er und seine Kollegen die Demonstranten vor der Unterkunft nicht auf ihren möglichen Gesetzesverstoß aufmerksam gemacht hätten, geschweige denn vertrieben. Heute schickt Richter Thomas Wackerbauer den Zeugen zu Beginn des Termins hinaus, er muss warten; dann verlegt Wackerbauer die Verhandlung hinter verschlossene Türen.

15 Minuten später ist der Deal zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und den Verteidigern Barbara Kaniuka und Hartmut Wächtler perfekt, wie neulich schauen Ankläger und Angeklagten zufrieden. Knapp ein Jahr nach der Tat und nach all der Ermittlungsarbeit stellt man fest: Das Verfahren wird eingestellt wegen geringer Schuld und mangelnden öffentlichen Interesses. "Die Kosten des Verfahrens fallen der Staatskasse zur Last", sagt der Richter, beendet die Sitzung, alle strömen nach draußen. Nur einer kommt rein: der Zeuge. Oh, sagt der Richter, jetzt hätten wir Sie fast vergessen. Der Kommissar kann wieder gehen.

Und was hat das nun alles zu bedeuten? Diesmal Einstellung gegen die drei Demonstranten ohne Geldauflage; vor Monaten schon Einstellung gegen 100 Euro, weil es sich um die beiden Versammlungsleiter handelte; im März Freispruch mit anschließender Berufung.

Heute hat Michael Müller, Vize-Chef der politischen Abteilung der Staatsanwaltschaft, die Anklage vertreten. Er wählt die Fußballsprache, um das heutige Ergebnis einzuordnen: "Unentschieden." Er ist froh, schließlich bleibe der Schuldvorwurf bestehen, und die Angeklagten hätten ihn ja auch akzeptiert.

Und das mit der Berufung gegen den selbst geforderten Freispruch vom März? Na ja, sagt Müller, das gehe auf ein "hausgemachtes Justizproblem" zurück. Neulich vertrat die Anklage ein so genannter Sitzungsstaatsanwalt, nach eigener Aussage ohne Aktenkenntnis. Man schaffe es angesichts der Überlastung einfach nicht, immer den kundigen Sachbearbeiter in die Verhandlung zu schicken. Jetzt also Berufung, weil man nicht so einfach vom Schuldvorwurf des Hausfriedensbruchs abrücken wolle, erklärt Müller -und räumt dann ein, dass dabei wohl kaum mehr als eine Einstellung wegen geringer Schuld herauskommen werde, aber immerhin. Dann beklagt Müller noch, dass man "wahnsinnig überlastet" sei, und man deshalb keine Lust auf einen Grundsatzstreit habe, deshalb heute dieser Deal. Und politisch voreingenommen sei man auch nicht in der politischen Abteilung der Staatsanwaltschaft: "Auch wenn Sie's nicht glauben, wir sind die objektivste Behörde der Welt." Er klingt nicht ironisch. "Ich habe nichts von einem Freispruch oder einer Verurteilung, und mein Gehalt richtet sich auch nicht danach." Und außerdem: Die Linken klagen, man sei auf dem rechten Auge blind, und die Rechten klagen, nur uns verfolgt ihr. Das zeige doch, sagt Müller, dass man wohl richtig liege.

Bernd Kastner

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