Junge Welt, 30.07.2011
»Die Flüchtlinge werden nicht lockerlassen«
Bayern: Asylbewerber wehren sich gegen zwangsweise Unterbringung in Sammellagern. Ein Gespräch mit Alexander Thal
Alexander Thal ist Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrats
Am Dienstag wird im bayerischen Kabinett das Gesetz zur Lagerpflicht für Flüchtlinge neu geregelt.Was soll konkret beschlossen werden?
Bisher waren Flüchtlinge in Bayern, sowohl Asylberechtigte als auch solche, die nur eine »Duldung« haben, ohne zeitliche Befristung im Lager untergebracht. Mit dem neuen Gesetz soll es nun ein paar Ausnahmen geben für einige, die früher ausziehen dürfen: Familien mit Kindern sollen nach Ende ihres ersten Asylverfahrens beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Erlaubnis bekommen, aus die Lager zu verlassen. Das kann jedoch zwei bis drei Jahre dauern. Für alle anderen kann sich der Aufenthalt in Lagern künftig noch vier Jahre länger hinziehen, insgesamt also sechs bis sieben Jahre. Es gab mehrfach Verhandlungen zwischen FDP und CSU, jetzt hat man sich darauf geeinigt: Dieser Gesetzentwurf wird am Dienstag verabschiedet und anschließend mit Regierungsmehrheit im Landtag durchgewinkt werden.
Es wird also keine merkliche Verbesserung geben?
Nein, denn viele Ausschlußkriterien konterkarieren die neue Regelung. Ausgeschlossen werden sollen beispielsweise Flüchtlinge, die eine Geldstrafe von mehr als fünfzig Tagessätzen haben. Das erreicht man problemlos durch dreimal Schwarzfahren. Die meisten Flüchtlinge erhalten nur 40 Euro Taschengeld. Oder man hat ihnen die Kohle ganz gestrichen und sie haben nur noch Essenspakete. Insofern können sie keinen Fahrschein für öffentliche Verkehrsmittel zahlen. Es reicht ebenfalls aus, wenn sie zweimal ohne Erlaubnis dabei erwischt worden sind, »ihren« Landkreis verlassen und somit gegen die Residenzpflicht verstoßen zu haben. Das bringt mehr als 90 Tagessätze. Mit der neuen Regelung erfahren die Flüchtlinge eine Doppelbestrafung. Erst die Geldstrafe, dann der erzwungene Verbleib im Lager. Das neue Gesetz läuft nahezu komplett ins Leere. Es wird kaum jemanden geben, der bei solchen Verstößen noch nicht erwischt wurde. Auch wer seine Identität nicht belegen kann, hat seinen generellen Anspruch auf Auszug aus dem Lager verwirkt – wer sich aber einen Paß beschafft, wird danach meist abgeschoben.
Trifft das auch langjährig hier lebende Flüchtlinge?
Ja, eine Familie syrischer Kurden lebt seit mehr als 20 Jahren hier. Ihr Asylverfahren wurde abgelehnt, sie ist ausreisepflichtig. Syrien hat sie ausgebürgert und akzeptiert sie nicht als ihre Staatsbürger. Die bayerischen Behörden stellen sich aber stur: »Ihr bringt uns keine Pässe; solange die nicht vorhanden sind, bleibt ihr im Lager.«
Der Bayerische Flüchtlingsrat moniert das Verhalten der Staatsregierung und besonders des Innenministeriums. Es erwecke den Eindruck, »als hätte es die Skandale in und die Debatten um die bayerischen Flüchtlingslager in den vergangenen Jahren nie gegeben …«
Egal, wohin man kommt, ob nach Augsburg, Coburg, Würzburg oder Aschaffenburg – selbst in so kleinen Gemeinden wie in Böbrach – überall findet man in Bayern Lager in völlig desolatem Zustand, mit Flüchtlingen, die völlig fertig sind. Deshalb gab es im Februar 2009 eine Anhörung im Landtag mit Experten des Flüchtlingsrats, der Wohlfahrtsverbände, Vertreter des Städte- und Landkreistags und Flüchtlingen selber. Deren Forderung, die Lagerunterbringung abzuschaffen oder auf ein Jahr zu begrenzen, hat man einfach ignoriert.
Sie kritisieren vor allem Sozialministerin Christine Haderthauer und Innenminister Joachim Herrmann, beide CSU …
Unter öffentlichem Druck hat Frau Haderthauer zwischenzeitlich den Eindruck erweckt, Reformen planen zu wollen. Innenminister Herrmann vertritt hingegen die Hardliner-Position: »Wir wollen die Flüchtlinge abschrecken, sonst kommen noch mehr nach Bayern.« Jegliche Versuche der FDP, die mit der CSU in Koalition die Landesregierung stellten, und auch sehr zaghafte Versuche von Haderthauers Sozialministerium sind am Bollwerk Innenministerium abgeprallt.
Wie werden der Bayerische Flüchtlingsrat und die Initiativen weiter vorgehen?
Die Flüchtlinge werden nicht lockerlassen. Wer jahrelang unter unerträglichen Lebensbedingungen existieren muß, wird sich wehren. Wir werden das weiterhin unterstützen und den Druck auf die Bundesregierung verstärken. Wenn das Asylbewerberleistungsgesetz auf Bundesebene geändert wird, muß die bayerische Landesregierung nachziehen.
Interview: Gitta Düperthal
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