Junge Welt, 01.07.2011

»Die Abschiebung konnte jederzeit stattfinden«

Pfarrgemeinde in Coburg bewahrt irakische Familie durch Kirchenasyl vor der Ausweisung. Ein Gespräch mit Hans-Karl Kaufner

Hans-Karl Kaufner ist Mitglied der Kirchenverwaltung der katholischen Pfarrgemeinde St. Augustin in Coburg und hat den Helferkreis für das Kirchenasyl koordiniert

 

Die Coburger Kirchengemeinde St. Augustin hat die Abschiebung der irakischen Familie Ghareb verhindert. Wie kam es zu dem Kirchenasyl?


Wir haben die Entscheidung an einem sehr dramatischen Samstag, am 9. April, getroffen. Eigentlich hatten wir uns länger vorbereiten wollen, um die Familie gut unterzubringen. Aber dann hieß es: Jetzt muß es schnell gehen. Ein Anrufer teilte mir mit, die Abschiebung könne jederzeit stattfinden. Wir hatten damit gerechnet, der Familie über einen längeren Zeitraum Asyl zu gewähren. Glücklicherweise dauerte es dann nur zwei Monate, bis das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Bescheid gab, die Gharebs nicht nach Schweden zu überstellen, von wo aus sie in den Irak abgeschoben worden wären.

 

Warum über Schweden?


Die Familie war 2006 dorthin geflüchtet, um der Bedrohung durch alltägliche Gewalt und religiös motivierte Übergriffe im Irak zu entkommen. Dort wurde ihr Asylantrag abgelehnt, weshalb sie Ende 2010 nach Deutschland weiterfloh. Die Dublin-II-Verordnung sieht jedoch vor, Fluchtgründe von Menschen, die zuvor in einem anderen EU-Land waren, in Deutschland nicht zu prüfen, sondern sie direkt dorthin zurückzuschieben. Man muß die Absurdität sehen: Gleichzeitig mit dieser Familie ist der Bruder des Familienvaters aus dem Irak geflohen. Er kam nicht über Schweden, sondern direkt nach Deutschland und wurde problemlos als Flüchtling anerkannt. Die Rechtslage war so: Schweden mußte sich bereit erklären, die Familie zurückzunehmen, danach hätte Deutschland sie innerhalb von sechs Monaten zurückschicken müssen. Mit dem Kirchenasyl ist es gelungen, diese Frist zu überbrücken, so daß es jetzt doch zum Asylverfahren in Deutschland kommt. Nach einer Anhörung im August in der zentralen Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in Zirndorf wird frühestens im Herbst dieses Jahres mit dem endgültigen Bescheid für die Familie gerechnet.

 

Wie haben Sie das Kirchenasyl vorbereitet und organisiert?


Zunächst hatten wir 1600 Unterschriften gesammelt und gehofft, daß eine Eilpetition der Anwältin ausreicht, um die Abschiebung zu verhindern. Als dies keine Wirkung zeigte, haben wir eine Sondersitzung der gewählten Gremien, des Pfarrgemeinderats und der Kirchenverwaltung, einberufen. Nach intensiver Debatte haben alle ausnahmslos für das Kirchenasyl gestimmt. Dann haben wir die Familie in einer Blitzaktion aus der Flüchtlingsunterkunft geholt. Glücklicherweise haben wir auf dem Kirchengelände Räume, in denen wir sie notdürftig unterbringen konnten. Kirchenasyl heißt nicht unbedingt, daß die Flüchtlinge hinter dem Altar unterzubringen sind.

Dann haben wir einen auf etwa 20 Leute begrenzten Helferkreis eingerichtet. Der hatte zum Beispiel die Aufgabe, für die Familie einzukaufen, weil sie das Asyl nicht verlassen durfte. Die Behörde war angewiesen, sie auszuweisen und hätte sie theoretisch jederzeit auf der Straße festnehmen können. Den Kindergartenbesuch des fünfjährigen Kindes zu ermöglichen, war offiziell vereinbart – nur durfte es nicht von den Eltern gebracht oder abgeholt werden. Das hat das Personal der evangelischen Gemeinde übernommen, der der Kindergarten gehört. Es galt, Arzttermine zu organisieren. Das Kind hatte Halsschmerzen, die schwangere Mutter brauchte gynäkologische Unterstützung. Nicht zuletzt waren Besuche wichtig, zum Beispiel, um »Mensch ärgere dich nicht« zu spielen. Denn die Familie hat sich natürlich gelangweilt.

 

Rein rechtlich hätte die Ausländerbehörde die Familie auch aus den Räumen der Kirche abschieben können, oder?


Ja, das ist aber seit Jahren nicht mehr vorgekommen und würde eine sehr schlechte Presse geben. Wir haben uns zudem um guten Kontakt mit der Behörde bemüht.

 

Würde die Coburger Kirchengemeinde wieder Asyl gewähren?


Das ist im konkreten Einzelfall zu entscheiden. Es kann jedoch nicht Aufgabe der Gemeinden sein, immer Asyl anzubieten. Auf europäischer Ebene muß das Asylrecht vereinheitlicht und verbessert werden. Denn es kann nicht sein, daß der eine anerkannt wird und der andere nicht, bloß weil er zufällig in einem anderen europäischen Land zuerst angekommen ist.

 

Quelle: Junge Welt

Zurück