Süddeutsche Zeitung, 12.06.2009
"Der Lagerzwang verstößt gegen die Menschenwürde"
Alexander Thal vom Bayerischen Flüchtlingsrat über die Lage von Flüchtlingen und geplante Protestaktionen
In der kommenden Woche beginnt im Landtag die politische Auseinandersetzung darüber, ob Asylbewerber im Freistaat auch weiterhin in Lagern untergebracht werden müssen. In München finden deshalb nun täglich Protestaktionen statt, um auf die untragbare Lage der Flüchtlinge hinzuweisen. Dies versuchen die bayerischen Behörden allerdings zu unterbinden, wie Alexander Thal vom Bayerischen Flüchtlingsrat berichtet.
SZ: Sie planen große Protestaktionen mit Asylbewerbern - und keiner darf hin. Das macht Sie wohl ziemlich wütend?
Thal: Ja, das macht mich wütend. Ich halte das sogar für eine bodenlose Unverschämtheit seitens der Behörden und der bayerischen Staatsregierung.
SZ: Was genau ist denn passiert?
Thal: Die Zentrale Rückführungsstelle Nordbayern hat die Ausländerbehörden angewiesen, den Flüchtlingen die Anfahrt zu den Aktionstagen nicht zu gestatten - mit Hinweis auf ihre Residenzpflicht am Unterbringungsort. Begründet wird das damit, dass deren Anreise-Antrag durch das Aufenthaltsgesetz nicht abgedeckt sei: Der Besuch einer Demonstration liege weder im öffentlichen Interesse, noch sei es eine unbillige Härte für die Betroffenen, wenn sie nicht fahren dürften. Obwohl damit das Grundrecht der Versammlungsfreiheit verletzt wird, deckt das bayerische Innenministerium diese Rechtsposition. Weit mehr als 50 Flüchtlinge, die zum Beispiel aus Würzburg, Schwandorf und aus Amberg zu uns kommen wollten, wird damit das Recht auf ihre Meinungsfreiheit aberkannt.
SZ: Werden die geplanten Aktionen dennoch stattfinden - und wenn ja, wie?
Thal: Die geplanten Aktionen finden statt! Sie werden halt kleiner ausfallen. Wir gehen aber bei der Demonstration am Samstag trotzdem von mindestens 500 Teilnehmern aus. An diesem Tag werden wir gemeinsam mit betroffen Flüchtlingen aus München und dem südlichen Bayern zum Landtag ziehen und dort symbolisch aus 118 Umzugskartons eine Mauer aufbauen, die wir dann gemeinsam wieder einreißen.
SZ: Wieso denn ausgerechnet 118 Umzugskartons?
Thal: Diese Kartons stehen bildhaft für die 118 Flüchtlingslager in Bayern, in denen die betroffenen Menschen von der restlichen Gesellschaft isoliert werden. Und damit muss jetzt endlich Schluss sein.
SZ: Warum müssen die Lager aus Ihrer Sicht unbedingt weg?
Thal: Sie sind schlichtweg menschenverachtend. Ein Zwang, in Lagern zu leben, ist ein Verstoß gegen die Menschenwürde und damit verfassungswidrig.
SZ: Bald beginnt die parlamentarische Debatte über die Zukunft der Lager. Haben Sie Hoffnung, dass sich für die Betroffenen etwas verbessert?
Thal: Alle Parteien im Landtag haben erklärt, dass sie Verbesserungen für die Flüchtlinge in den Lagern erreichen wollen. Es ist nur die Frage: Wie weit gehen diese Verbesserungen. Wir befürchten, dass die CSU die Lagerpflicht für Flüchtlinge weiter aufrechterhalten will und nur Verbesserungen nach dem Motto "Schöner leben im Lager" zulassen will.
SZ: Warum so düster? Sozialministerin Christine Haderthauer will sich sogar persönlich dafür einsetzen, dass sich die Lage der Asylbewerber und der Geduldeten verbessert.
Thal: Dagegen steht jedoch die Intention von Innenminister Joachim Herrmann, der an der bisherigen Lagerunterbringung nichts ändern möchte. Er will damit die Flüchtlinge weiterhin zur - in Anführungszeichen - freiwilligen Ausreise drängen. Deshalb lehnt er auch eine generelle Unterbringung der Flüchtlinge in Privatwohnungen ab. Dass dabei die Leute psychisch und körperlich krank werden, scheint ihn nicht zu interessieren.
Interview: Dietrich Mittler