Süddeutsche Zeitung, 29.03.2008

„Das wirkt natürlich ein bisschen seltsam“

Die Polizei lässt Datenschützer abblitzen - und ein Amtsrichter kopiert die Begründung des Staatsanwalts

Münchner Polizei und Justiz gelten als zielstrebig, wenn es gilt, linken Umtrieben Einhalt zu gebieten. Meist findet sich auch ein Paragraf, um Punker oder Demonstranten einzubremsen. Bisweilen aber stottert die Strafverfolgung Linksgesinnter ein wenig. So im Fall von Flüchtlings-Aktivisten, die ihren Protest gegen eine Sammelvorführung von irakischen Asylbewerbern kundtaten. Dazu hatte die irakische Botschaft eine Münchner Unterkunft flugs in eine eigene Filiale umgewandelt.

Ein Grüppchen Linker protestierte dagegen. Weil die Polizei mit Staatsschutz und Unterstützungskommando und Videokameras anrückte, wandte sich danach ein Aktivist empört an den Bayerischen Datenschutzbeauftragten: Er möge die Aufnahmen sichten und auf ihre Rechtmäßigkeit prüfen. Es sei „nicht tragbar“, wenn die Teilnehmer einer friedlichen Versammlung „permanent“ gefilmt würden. Der oberste Datenschützer aber prüfte nichts, denn: Die Polizei habe ihm mitgeteilt, „dass während der Versammlung keine Videoaufzeichnungen gefertigt wurden“, so Datenschützer Karlheinz Worzfeld. Die Kameras seien „lediglich einsatzbereit gehalten worden“.

Stimmt das? In den Ermittlungsakten sind die Aufnahmen dokumentiert, und einer der Videobeamten berichtete vor Gericht von seinem Tun. „Seltsam“ wirkt das auf Marco Noli, Anwalt eines der Aktivisten. Durch „falsche Information“ habe die Polizei die Kontrollmöglichkeit des Datenschützers „ausgehebelt“. Nein, entgegnet Polizeisprecher Wolfgang Wenger, man habe korrekt informiert. Der Datenschützer habe ja nur wissen wollen, ob man die Versammlung gefilmt habe. Man habe aber nur die Durchsuchung von Aktivisten und die Beschlagnahmung von Flugblättern videografiert. Keine Lüge also, eher die falsche Frage des Datenschützers.

Auch die Justiz tut sich schwer mit dem Fall. Ist es nun strafbar oder nicht, wenn die Linken den Flüchtlingen raten, nicht zu dieser Anhörung zu gehen, und wenn, dann nur mit Anwalt, schließlich gehe es um ihre Abschiebung. Die Polizei beschlagnahmte Flugblätter mit diesem Rat. Das musste man sich hinterher absegnen lassen, doch der Ermittlungsrichter wollte nicht: „Eine Straftat (...) ist nicht erkennbar“, so sein Beschluss. Das passte der Staatsanwaltschaft nicht, sie legte Beschwerde ein, begründet auf zwei Seiten. So bekam der Richter den Fall erneut auf den Tisch, und nun stimmte er dem Begehr zu: „Die polizeiliche Beschlagnahme (...) wird (...) richterlich bestätigt.“ Es folgen die Gründe für den Sinneswandel, doch die formulierte der Richter nicht selbst. Er nahm offensichtlich das Schreiben der Staatsanwaltschaft, schnitt deren Begründung aus und klebte den Text auf einer Seite zusammen. Fertig war das Plazet. Leider komme so was „immer wieder vor“, zürnt Anwalt Noli: „So hat sich der Gesetzgeber eine funktionierende richterliche Kontrolle sicherlich nicht vorgestellt.“

Im Amtsgericht ist man ein wenig peinlich berührt ob der Arbeitsweise des Kollegen. Nein, üblich sei so etwas nicht, versichert Sprecher Ulrich Kühn - aber auch „nicht über die Maßen außergewöhnlich“. Naja, „das wirkt natürlich ein bisschen seltsam“, aber das heiße nicht, dass sich der Kollege keine eigenen Gedanken gemacht habe. Und von der Staatsanwaltschaft lasse er sich bestimmt auch nicht beeindrucken.

Inzwischen mussten Ankläger und Gericht zurückrudern: Im Strafprozess gegen einen Aktivisten - angeklagt wegen Aufforderung zu einer Straftat, weshalb er 2700 Euro zahlen sollte - plädierte der Staatsanwalt am Ende selbst auf Freispruch. Das Gericht folgte ihm.

Bernd Kastner

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