Junge Welt, 14.05.2012
»Das rassistische System abschaffen«
Bis zum 26. Mai finden in 30 bayrischen Städten Aktionstage für mehr Rechte von Flüchtlingen statt. Ein Gespräch mit Ben Rau
Interview: Gitta Düperthal
Ben Rau ist Sprecher des Netzwerks Deutschland Lagerland und der Karawane München
Am heutigen Montag beginnen die bayerischen Aktionswochen bis zum 26. Mai. In Aschaffenburg, Augsburg, Bamberg, Landshut, München, Passau, Regensburg und Würzburg werden Flüchtlinge und Unterstützer ihrem Protest gegen die Flüchtlingslager Ausdruck verleihen. Mit welchem Ziel?
Im Hinblick auf die Bundestags- und Landtagswahlen 2013 werden wir Druck aufbauen. Die Lager müssen abgeschafft und statt dessen Wohnungen für Flüchtlinge angemietet werden. Sie erhalten fast 40 Prozent weniger als bei den ohnehin schon unzureichenden Hartz-IV-Leistungen vorgesehen. Die Bundesregierung muß endlich das Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen, das Flüchtlinge zwingt, unter dem Existenzniveau zu leben. Bis dahin muß die bayerische Staatsregierung ihre Spielräume nutzen: Sie muß statt Essenspakete zu vergeben, Bargeld auszahlen und die Flüchtlinge jetzt schon in Wohnungen unterbringen. Solange das nicht erreicht ist, werden wir in Bayern weiter hartnäckig für ein menschenwürdiges Leben der Asylsuchenden kämpfen und mit Demos Krach schlagen. Wir organisieren in acht bayerischen Städten Veranstaltungen, Filmvorführungen, Konzerte und eine Ausstellung. Wir werden dafür sorgen, daß Flüchtlinge aus abgelegenen ländlichen Lagern teilnehmen können. Weil sie so isoliert leben müssen, geht es ihnen besonders schlecht.
Welches sind die wichtigsten Aktionen?
Bei unserer Auftaktkundgebung am kommenden Montag um 18 Uhr in Würzburg und der bayernweiten Abschlußdemo zum Landtag in München am 26. Mai um 13.30 Uhr werden wir unsere Forderungen lautstark hervorbringen. Das komplette rassistische System muß abgeschafft werden: sowohl das Asylbewerberleistungsgesetz, das aus diskriminierenden Sondergesetzen für Flüchtlinge in Deutschland besteht, als auch die Lager, in denen mitunter acht Personen in einem Raum zusammengepfercht über Jahre hinweg ohne Privatsphäre dahinvegetieren. Künftig darf es weder Essenspakete noch Kleidergutscheine geben, was ihre Situation zusätzlich verschärft. Sie müssen Bargeld erhalten – nicht nur monatliches Taschengeld von 40,90 Euro. Die Bewegungsfreiheit der Flüchtlinge darf nicht eingeschränkt werden: Weg mit der Residenzpflicht! Arbeitsverbote dürfen sie nicht hindern, für ihren Unterhalt selber zu sorgen. Am 23. Mai, um 15 Uhr, wird es eine Demo für die Rechte junger Flüchtlinge zum Sozialministerium in München geben. Zur Podiumsdebatte am kommenden Mittwoch in Landshut haben wir einen Vertreter der niederbayerischen CSU eingeladen. Wir werden diskutieren, ob man etwa mit der Unterbringung in Lagern eine schnellere Rückkehr in die Herkunftsländer erzwingen will.
Dringen all diese Probleme denn in die Bevölkerung vor?
Vor allem werden die Flüchtlinge und ihre Unterstützer protestieren, unter anderem die Karawane München und der bayerische Flüchtlingsrat. In Regensburg ruft ein sehr breites Bündnis für kommenden Dienstag zur Infoveranstaltung ab 16 Uhr am Kassiansplatz auf: Unter anderem der AStA Uni Regensburg, attac, pax christi, der DGB-Region Regensburg, das Frauenzentrum, die Fachgruppe sozialpädagogischen Berufe der GEW, die ver.di Jugend Oberpfalz, Bündnis 90/Die Grünen, sogar der SPD-Stadtverband Regensburg.
Gerade in Bayern währt der Kampf um Flüchtlingsrechte schon lange. Was konnte dem bayerischen Landtag bislang an Lockerungen abgerungen werden?
Nicht viel. Erreichen konnten wir, daß alleinstehende Flüchtlinge maximal vier Jahre nach Abschluß des ersten Asylverfahrens im Lager wohnen; letzteres kann aber bis zu zwei Jahre dauern. Familien können direkt danach in Wohnungen ziehen. Angesichts der Voraussetzungen, die erfüllt werden müssen, haben jedoch nur wenige Flüchtlinge etwas von dieser Regelung: Wer zuvor nicht bei der Beschaffung seines Passes – und damit an der eigenen Abschiebung – mitgewirkt hat, bleibt von der Regelung ausgeschlossen.
Wie ist die Situation in den 130 Flüchtlingslagern des Landes derzeit?
Die Erstaufnahmeeinrichtungen in München und Zirndorf sind hoffnungslos überbelegt, die Lager überfüllt; viele Flüchtlinge sind insofern in Pensionen, Ferienbauernhöfen und Privatwohnungen untergebracht. Trotz aller Hindernisse versuchen Asylsuchende nach Deutschland zu kommen, eine große Anzahl flieht aktuell vor dem Krieg in Afghanistan.
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