Erlanger Nachrichten, 20.02.2012
Das Ausländerrecht in Deutschland: Ein schwankender Boden
Zwischen Asyl(grund)recht, Genfer Flüchtlingskonvention und hiesigen Zuwanderungsregeln haben die Ämter vor Ort keinen leichten Stand
Die Stadt Erlangen hat Konsequenzen aus einer „Affäre“ gezogen, die sie selbst nie als solche gesehen hat, die sie aber trotzdem unter Handlungsdruck setzte. Sie hat aus dem Ausländeramt einen Mitarbeiter abgezogen, der als „Sheriff Gnadenlos“ im Ruf stand, in heiklen ausländerrechtlichen Fällen eigene Ermessensspielräume grundsätzlich zu Ungunsten Rat- und Hilfesuchender ausgelegt zu haben.
Die Stadt reagiert mit der personellen Veränderung auf Anschuldigungen des Bayerischen Flüchtlingsrats und anderer Organisationen vom Jahresende.
Der Vorwurf lautete: Der Beamte habe es bei der Umsetzung von Asylentscheidungen an Menschlichkeit fehlen lassen. Sein Vorgehen — so hatte er beim Gesetzesvollzug morgens um vier Uhr sogar eine Familie getrennt — nannte Stadtsprecher Peter Gertenbach „absolut unzumutbar“. Und OB Siegfried Balleis will künftig rechtlich und menschlich auf der sicheren Seite bleiben und deshalb ein „Vier-Augen-Prinzip“ bei solchen Entscheidungen einführen. Dabei darf nicht übersehen werden, dass sich alle Ausländerämter auf juristisch schwankendem Boden bewegen. Das deutsche Asylrecht aus dem Jahr 1993 ist ein Kompromiss aller Bundestagsparteien. Wichtigste Komponente ist die Drittstaatenregelung, die es erlaubt, alle Asylsuchenden in „sichere Drittstaaten“ zurückzuführen, wie der Euphemismus fürs Abschieben heißt. Nur: Deutschland ist nur von „sicheren Drittstaaten“ umgeben, Asylverfahren müssten demnach Einzelfälle sein.
Noch komplizierter wird die Rechtslage durch das neue Zuwanderungsgesetz der rot-grünen Koalition von 2004. Auch wenn es einige Erleichterungen enthält und den Asyl-Grund „staatliche Verfolgung“ dadurch erweitert, dass auch eine nicht staatliche Verfolgung (beispielsweise durch Milizen in Bürgerkriegen) einen Asyl- oder Duldungsgrund darstellt, ist die Flut der Paragrafen mittlerweile zum Kampfboden zwischen Verwaltungsgerichten und Asyl-Anwälten geworden.
Letztere können sich zudem auch auf die Genfer Flüchtlingskonvention berufen, die erst 1967 wirksam wurde, aber ebenfalls einen Schutz vor Ausweisung vorsieht: Wenn ein Antragsteller aus rassischen oder religiösen Gründen, seiner Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung in seinem Heimatland verfolgt wird.
Der Präsident des Nürnberger Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Manfred Schmidt, hatte unlängst in unserer Zeitung beklagt, dass immer weniger Städte und Landkreise bereit sind, Asylsuchende aufzunehmen — auch weil die Rechtslage so kompliziert ist und die anzuwendenden Gesetze nicht immer eindeutig sind und Spielräume lassen. Vor allem politische: Syrer beispielsweise werden derzeit generell nicht abgeschoben. Nur: Zwischen anerkanntem Asylrecht, Abschiebeverbot, Duldung, vorübergehendem Aufenthaltsrecht oder Flüchtlings-Schutz müssen Ämter vermitteln, genauer: Menschen in diesen Ämtern. Mit dem „Vier-Augen-Prinzip“ hat die Stadt deutlich gemacht, dass es so etwas wie „Augenmaß“ geben muss, gerade bei einem Gesetzeswust wie dem Ausländerrecht. In Deutschland leben allein 90 000 „geduldete“ Menschen. Menschen also, die keinen Flüchtlingsschutz bekommen und eigentlich ausreisepflichtig sind. Sie können aber, so BAMF-Chef Manfred Schmidt, aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen nicht abgeschoben werden.
Peter Millian
Quelle: Erlanger Nachrichten