Mainpost, 12.02.2009

CSU-Landtagsabgeordneter bricht mit Flüchtlingspolitik seiner Partei

"Vom Gefühl, kein Mensch zu sein": Oliver Jörg nach Besuch in der GU Würzburg

Oliver Jörg, CSU-Landtagsabgeordneter
Oliver Jörg, MdL CSU
Er habe jahrelang die Augen vor den Zuständen in der Gemeinschaftsunterkunft (GU) verschlossen, bekennt der Würzburger CSU-Chef Oliver Jörg. Seit er Landtagsabgeordneter ist, sagt er, könne er nicht mehr wegschauen. Er fordert, Familien, alleinreisende Minderjährige, traumatisierte und kranke Flüchtlinge nicht mehr in Gemeinschaftsunterkünften unterzubringen.

Im Januar besuchte Jörg die GU in der Veitshöchheimer Straße. Er traf auf Zustände, die er „untragbar und menschenunwürdig" findet. Im Angesicht dessen, was den Flüchtlingen in der vom Freistaat betriebenen Unterkunft widerfährt, treibe ihn „das schlechte Gewissen eines Christen" um.

500 Kinder, Frauen und Männer leben in der ehemaligen Emery-Kaserne - „perspektivlos, ohne zeitlichen Horizont", sagt Jörg. Mehrköpfige Familien wohnten in einem Zimmer auf 25 Quadratmetern. Besonders schlimm findet Jörg die zwischenmenschliche Atmosphäre, die Situation auf den Gängen, das weitgehende Fehlen von Intimsphäre. Die Zustände in den Gemeinschaftsräumen, berichtet er, erlaubten kein gemeinsames Essen, die Kinder hätten keinen Raum, „um ordentliche Hausaufgaben zu machen". Das jahrelange Wohnen in der GU „tötet jedes Gefühl für gemeinschaftliches Leben, für Solidarität und das Gefühl dafür, ein Mensch zu sein".

Am Abend nach der mehrstündigen Visite habe es ihm zu Hause nicht mehr gefallen, berichtet er, das heimische Wohnzimmer sei ihm „wie ein Luxus, wie eine Traumwelt" erschienen. Die Konsequenz: Jörg bricht mit der harten Linie seiner Partei. Die hatte vor vier Jahren erst die Lage der Flüchtlinge verschärft.

Menschen, die noch im Asylverfahren standen, aber Arbeit und Wohnung gefunden hatten, mussten ihre Wohnung aufgeben, um in die Gemeinschaftsunterkunft zu ziehen. Proteste von Kirchen und Wohlfahrtsverbänden verhallten  ungehört. Flüchtlingsorganisationen, Caritas und Diakonisches Werk berichten seit Jahren über die fatale Lage der Flüchtlinge. „Von allen Seiten kommen die Stimmen", sagt Jörg, aber seine CSU wollte bislang nicht hören.

In der vergangenen Woche besprach sich der Abgeordnete mit dem Bayerischen Flüchtlingsrat und mit Betroffenen, die sich in einem Lagernetzwerk zusammengetan haben. Ergebnis: Jörg fordert, nur gesunde, alleinstehende Erwachsene sollten in der Gemeinschaftunterkunft leben, alle anderen müssten Wohnungen außerhalb der GU bekommen. Er geht noch weiter: Asylbewerber unterliegen der sogenannten Residenzpflicht. Das bedeutet, sie dürfen die kreisfreie Stadt oder den Landkreis, in dem sie untergebracht sind, nicht ohne Genehmigung verlassen. Jörg plädiert dafür, die Residenzpflicht auf den Regierungsbezirk auszuweiten.

Bedenken, eine größere Freizügigkeit könnte ausgenutzt werden, wehrt er ab: Es gebe immer Menschen, die ein System ausnutzen, etwa bei der Steuer. Die Politik müsse aber von der Mehrheit derer ausgehen, die das nicht tun. Jörg fordert, „die große Menge derer zu sehen, die traumatisiert und völlig verstört hier ankommen, die das alles auf sich genommen haben. Denen muss man mit Respekt begegnen. Das ist das Mindeste".

Nach ersten Gesprächen in seiner Fraktion glaubt er, dass es Bewegung in der CSU gibt. „Es wird", verspricht er, „auf alle Fälle eine Verbesserung geben."

Wolfgang Jung

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