Augsburger Allgemeine Zeitung, 18.03.2010

Boykott in zwei Flüchtlingslagern

Foto: Augsburger Allgemeine Zeitung

Der Anblick ist erschreckend: Toiletten sind verstopft und stinken. Teilweise fehlen in Zimmern die Fensterscheiben. "Auch die meisten Elektroherde, auf denen Essen gekocht wird, sind kaputt", klagen Bewohner der Flüchtlingsunterkunft in der Calmbergstraße. Das alte Backsteinhaus ist in einem beklagenswerten Zustand. Einige der Bewohner reagieren nun mit Boykott. Sie verweigern die Annahme ihrer Essenspakete.

Nach Angaben der Regierung von Schwaben sind es Einzelfälle. Der Bayerische Flüchtlingsrat spricht dagegen von 29 Flüchtlingen in Augsburg, die sich an bayernweiten Protesten beteiligen. Sie wohnen in den beiden Männerunterkünften an der Calmbergstraße und Neusässer Straße, in denen insgesamt fast 300 Flüchtlinge untergebracht sind.

Besonders im Haus an der Calmbergstraße sind die Zustände schlimm. Der Algerier Belkacemi Abdelmalek muss sich dort ein kleines Zimmer mit zwei anderen Bewohnern teilen, und das seit einem Jahr. Pro 50 Bewohner gebe es nur vier Toiletten, klagen die Flüchtlinge. Dies seien nur einige von vielen Missständen.

Regierung von Schwaben sieht Handlungsbedarf

Auch die Regierung von Schwaben, zuständig für die Unterkünfte, sieht Handlungsbedarf in der Calmbergstraße. Sanierungsmaßnahmen seien 2009 erfolgt und sollen heuer weitergehen, so Sprecher Karl-Heinz Meyer. "Wir werden alles tun, um den baulichen Standard zu heben."

Ein Teil der Flüchtlinge verweigert nun aber die Annahme der staatlichen Essenspakete für Flüchtlinge, um ein Zeichen zu setzen. Nicht nur die Wohnsituation sei unerträglich, sagen sie. "Das ganze Leben hier macht uns körperlich und psychisch krank."

Dass sich in der bayerischen Flüchtlingspolitik dringend einiges ändern müsste, meinen auch Hilfsorganisationen. "Seit Ende 2009 sind die Unterkünfte voll", sagt Matthias Schopf-Emrich vom Verein Tür an Tür. Eine Folge sei zusätzlicher Stress für Bewohner.

Geld statt Essenspakete

Er schließt sich Forderungen der "Karawane München" an. Danach sollten Flüchtlinge in Bayern Geld für ihre Verpflegung statt Essenspakete bekommen, so wie in vielen anderen Bundesländern. Der Lagerzwang sollte abgeschafft und die Residenzpflicht auf ganz Bayern ausgedehnt werden. Auch eine unbürokratische Arbeitserlaubnis müsse möglich werden, so Schopf-Emrich. Es gelte, "eine längst fällige Wende im Sinne der Menschenwürde von Flüchtlingen einzuläuten", appelliert die Karawane München.

Eva Maria Knab

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