Mainpost, 11.07.2012

Beschleunigte Streik Asylverfahren?

Iranische Flüchtlinge sagen Ja – Der Präsident der Asylanerkennungsbehörde verneint

Wer darf bleiben? Eine Dolmetscherin (Bildmitte) übersetzt bei der Podiumsdiskussion in Würzburg den streikenden Iranern. Foto: Thomas Obermeier

 

Haben iranische Flüchtlinge in Würzburg ihre Asylverfahren per Hungerstreik beschleunigt? Manfred Schmidt, der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) verneint. In Würzburg, während einer Podiumsdiskussion über Asylverfahren in Deutschland, sagte er, es wäre „ein grobes Missverständnis“, wenn der Eindruck entstünde, seine Behörde könnte „derart unter Druck gesetzt werden, dass schneller und besonders auch anders entschieden wird“.

Daraufhin stand unter den rund 100 Zuhörern im Saal einer der Hungerstreikenden auf und ließ übersetzen: Niemand könne leugnen, dass 113 Tage Streik etwas bewirkt haben. Er selbst habe eine Woche vor Beginn des Protestes seinen Sachbearbeiter beim BAMF angerufen und gefragt, bis wann er mit einer Entscheidung über seinen Asylantrag rechnen könne. Der Mann habe geantwortet, erst einmal würden Fälle aus den vergangenen drei Jahren abgearbeitet. Zur Beschleunigung des Verfahrens habe er empfohlen, „wir sollen laut sein, wir sollen rufen“. 17 Tage nach Beginn des Protestes, berichtete der Iraner weiter, sei sein Asylantrag genehmigt worden.

Schmidt antwortete, „die Verfahren, die hier bearbeitet worden sind, waren in der Bearbeitung“. Für die Darstellung des Iraners spricht, dass sechs der zehn hungerstreikenden Flüchtlinge seit Beginn ihrer Aktion als Flüchtlinge anerkannt wurden.

Schmidt war auf Einladung der Arbeitsgemeinschaft der bayerischen Ausländerbeiräte, der Caritas und vom Freundeskreis für ausländische Flüchtlinge nach Würzburg gekommen. Er sollte Antwort geben auf die Frage, ob das deutsche Asylrecht Schutz vor Verfolgung biete und wollte erklären, wie und auf welchen Grundlagen Asylverfahren entschieden werden.

Sechs der zehn wurden anerkannt

Das Recht auf Asyl hat in Deutschland drei Grundlagen: Artikel 16 des Grundgesetzes, Genfer Flüchtlingskonvention und Paragraf 60 des Aufenthaltsgesetzes. Schmidt sagt, er finde den Begriff Asyl „unscharf“, er rede „lieber vom Flüchtlingsschutz“. Als Flüchtling muss in Deutschland anerkannt werden, wer wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung verfolgt wird. Schutz sollen nach Recht und Gesetz aber auch jene genießen, bei denen das Asylrecht nicht greift, denen dennoch schwerwiegende Gefahren für Freiheit, Leib oder Leben drohen.

Schmidt berichtete, EU-weit hätten nur in Frankreich 2011 mehr Menschen Asyl beantragt (56 000) als in Deutschland (53 000). Sein Amt habe 99 Prozent der Asylanträge von rund 10 000 Serben, Mazedoniern und Kosovaren abgelehnt, aber über 90 Prozent der Anträge christlicher Iraker anerkannt. Etwa 30 Prozent der Syrer, Afghanen, Iraner, Iraker und Türken würden anerkannt. Nur in Dänemark sei die „Schutzquote“, so sagte er, für Flüchtlinge aus diesen Ländern höher.

Das BAMF verfügt Schmidt zufolge über 60 000 Datensätze mit Informationen über „unterschiedlichste Länder“. Gespeist würden sie aus 250 Quellen, darunter das Auswärtige Amt, Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) Medien und Universitäten. Sie bildeten die Grundlagen der Entscheidung über Asylanträge.

Maßgeblich sei das individuelle Schicksal des Antragstellers. 2011 hätten 87 Prozent der Verfahren weniger als ein Jahr lang gedauert. Der Würzburger Rechtsanwalt Michael Koch ergänzte unwidersprochen: Das BAMF ziehe die aussichtslosen Fälle vor und stelle die Erfolg versprechenden, langwierigen zurück.

 

Politisch motivierte Quoten

Bernd Mesovic, der stellvertretende Geschäftsführer von Pro Asyl, hielt Schmidt vor, die Asylverfahren seien in den vergangenen 30 Jahren niemals frei von politischer Einflussnahme gewesen: „Kommen mehr Flüchtlinge, sinken die Anerkennungsquoten.“ Er kritisierte wie andere die Anhörung durch BAMF-Mitarbeiter. Viele Flüchtlinge seien da überfordert; nötig sei das Recht auf einen Rechtsbeistand. Asylverfahren, so Mesovic, müssten „schnell und fair sein und zielgenauen Schutz bieten“. Das aktuelle Asylverfahren leiste das häufig nicht.

Von Wolfgang Jung

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