Süddeutsche Zeitung, 27.06.2013

Bereit zum Äußersten

Flüchtlinge im Hungerstreik


Rindermarkt, München, Donnerstagmittag. Menschen stehen zusammen und schimpfen. Sie schimpfen über die Ausländer in den Zelten da, die sich so aufführen und so viel fordern von den Deutschen, dabei hätten sie doch daheim auch "nichts zum Fressen".

So reden sie, und immer neue Passanten bleiben stehen, manche haben ihre Einkaufstaschen in der Hand und stimmen ein in den Chor der Empörten, meist sind sie im Rentenalter. Andere, meist Junge, versuchen dagegen zu halten, sie bleiben erstaunlich ruhig. Wieder andere stehen stumm neben den Zelten und schütteln den Kopf.

Plötzlich ist da dieses Geräusch. Kleine Räder rattern übers Kopfsteinpflaster, jemand hebt die rot-weißen Absperrbänder hoch, damit die Sanitäter ihre Trage hinein rollen können ins Lager. Vier Helfer in ihren roten und gelben Jacken beugen sich zu jemandem hinunter.

Draußen diskutieren sie weiter, drinnen spielt ein dunkelhäutiger Mann mit einem kleinen Kind, und nach ein paar Minuten kommen die Sanitäter wieder raus. Langsam jetzt, auf ihrer Trage liegt ein junger Mann, die Augen geschlossen. Es wirkt, als habe auch er das Bewusstsein verloren, wie so viele vor ihm. Er dürfte der 17. der Flüchtlinge sein, der ins Krankenhaus gebracht wird.

Geht nicht, sagen die Behörden

Tag sechs des Hungerstreiks von rund 50 Asylsuchenden mitten in München, und die Situation spitzt sich von Stunde zu Stunde weiter zu. Die Malteser haben ein Sanitätszelt aufgebaut, mehrere Krankenwagen stehen permanent auf dem Rindermarkt, die Stadt München hat einen Krisenstab eingerichtet. Am Mittwoch war ein Gespräch mit einem Vertreter der Flüchtlinge gescheitert, sie bleiben bei ihrer Forderung: Sofortige Anerkennung als politisch Verfolgte gemäß Artikel 16 a des Grundgesetzes.

Geht nicht, sagen die Behörden, wir sind ein Rechtsstaat, und da dauert die Prüfung nun mal. Immerhin, sie soll nun in zwei Wochen abgeschlossen sein, das wäre eine Art Geschwindigkeitsrekord, aber eine Bleibegarantie gebe es nicht. Die Fronten haben sich verhärtet. Es ist, als rase ein Zug auf eine Wand. Es geht um Leben.

Und um Politik. Die Politik aber, oder genauer: die Regierenden in Bayern und Berlin halten sich lautstark heraus. Mit den dramatischen Folgen ihrer Politik der Flüchtlingsabschreckung, die sich manifestiert in Arbeitsverbot, Residenzpflicht oder Zwangsversorgung mit Essenspaketen in überfüllten Massenquartieren, mit diesen Folgen wollen sie dann eher nichts zu tun haben. Bayerns Sozialministerin Haderthauer hatte per Pressemitteilung ausgegeben, wo's lang geht: "Asylbewerber müssen den Hungerstreik sofort beenden!" Ihr Parteifreund, Innenminister Joachim Herrmann, äußert sich fast identisch.

"Denen geht's um richtige Querelen"

Auf den Rindermarkt kommen andere. Marian Offman zum Beispiel, wie schon die Tage zuvor will er reden mit denen, die Schutz suchen in Bayern. Offman ist engagiert wie wenige andere Münchner Stadträte, er ist auch in der CSU, und auch er sagt: Klar, der Rechtsstaat dürfe sich nicht erpressen lassen. Aber der Protest lässt ihn eben nicht kalt. "Es ist eine humanitäre Aufgabe, den Menschen zu helfen". Und ja, den Ton der CSU-Ministerin, den halte er für "unangemessen".

Die Flüchtlinge selbst haben sich zurückgezogen. Helfer halten Transparente hoch, "Flüchtlingslager abschaffen" steht auf einem, es ist Forderung und Sichtschutz zugleich. Dahinter sitzen sie auf Bänken oder liegen in den Zelten, seit zwei Tagen trinken sie nicht mal mehr. Einige kamen dehydriert ins Krankenhaus, um ein paar soll es nicht gut stehen. Eine Sprecherin aus dem Unterstützerkreis, betont, dass die drei Kinder im Camp gut versorgt seien und dass die hochschwangere Frau aus Nigeria, die Kleinigkeiten esse, ihr Baby am Rindermarkt auf die Welt bringen möchte. Zugleich gebe es andere, die bereit seien, diese Welt zu verlassen.

Der Mann auf der Trage ist noch nicht lange versorgt, da kommt Münchens Oberbürgermeister Christian Ude von der SPD die paar Meter vom Rathaus rüber, um sich zu informieren. Sofort ist er von Kameras und Mikrofonen umringt. Er erklärt, dass er die Verzweiflung erkenne, aber dann verwendet er ähnliche Worte wie die Minister der CSU. Den "Drohungen" könne der Staat nicht nachgeben.

Riskante Hoffnung

Christoph Hillenbrand wird noch deutlicher. Er war unter Beckstein Sprecher des Innenministeriums und ist inzwischen als Präsident der Regierung von Oberbayern für die Unterbringung der Flüchtlinge in diesem Landstrich zuständig. Ihn hat die Sozialministerin vorgeschickt, um mit den Flüchtlingen zu verhandeln, und nun ist er fassungslos über die Haltung der Flüchtlinge. "Denen geht's um richtige Querelen", sagt er und spricht von einem "Krieg der Worte".

Nein, er wolle die Situation keineswegs weiter eskalieren, sagt er. Die Aktion nennt er dennoch: "Staatserpressung". Als Strategen dahinter vermutet er den Verhandlungsführer, einen seit kurzem anerkannten Asylbewerber, der selbst an ähnlichen Protesten teilgenommen hat. Radikal und geschult wirke er mit seinem "geschniegelten Englisch".

Das Binnenverhältnis zwischen Hungerstreikenden und Unterstützern ist nicht so einfach zu durchschauen, und die Grenze zwischen beiden verschwimmt zusehends. Am Donnerstag kündigten mehrere Helfer an, nun auch in Hungerstreik zu treten. Aus Solidarität, und um den Druck auf die Politik und die Behörden zu erhöhen. Es sind diesmal anerkannte Flüchtlinge und deutsche Staatsbürger. Vielleicht, sagt eine junge Frau kurz vor ihrer vorerst letzten Mahlzeit, sei das Leben von Deutschen mehr wert. Es ist eine riskante Hoffnung.

Bernd Kastner, Julia Pieper

Quelle: Süddeutsche Zeitung

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