Nürnberger Nachrichten, 24.04.2009

Bayern: Flüchtlings-Unterkünfte katastrophal

Anhörung im Landtag - Sexuelle Übergriffe keine Ausnahme

Bei einer Anhörung im Landtag kritisierten zahlreiche Verbände und Organisationen am Donnerstag die Unterbringung in den sogenannten Gemeinschaftsunterkünften für Asylbewerber.     Foto: dpa
In den bayerischen Flüchtlings-Unterkünften herrschen nach Einschätzung von Fachleuten vielfach katastrophale Zustände. Bei einer Anhörung im Landtag kritisierten zahlreiche Verbände und Organisationen am Donnerstag die Unterbringung in den sogenannten Gemeinschaftsunterkünften für Asylbewerber.

Neben drangvoller Enge leiden viele Flüchtlinge nach jahrelanger Unterbringung an psychischen Erkrankungen, zudem sind sexuelle Übergriffe auf Frauen keine Ausnahme. Das habe negative Folgen für die ganze Gesellschaft, warnte der Prälat Hans Lindenberger von der Caritas. «Es kommen frische Menschen voller Elan und Tatendrang bei uns an, und nach einigen Jahren der Unterbringung in Bayern haben wir zerbrochene Menschen», sagte der Rechtsanwalt Hubert Heinhold.

Situation "verfassungswidrig"?

Der Jurist kritisierte vor allem, dass den Flüchtlingen jede Selbstständigkeit bei der Suche nach Arbeit und Wohnung genommen werde. Die Folge seien Depressionen und Drogenmissbrauch. In einer Unterkunft sei 2007 fast die Hälfte der Bewohner krank gewesen. «Ich halte die Situation in Bayern insgesamt für verfassungswidrig», sagte Heinhold. In den Unterkünften sind zum Teil vier Flüchtlinge in 12 bis 16 Quadratmeter kleinen Zimmern untergebracht. Laut Caritas laufen vor allem alleinstehende Frauen Gefahr, Opfer eines sexuellen Übergriffs zu werden.

Der äthiopische Flüchtling Bahiru Kum Felleke beklagte, dass in seiner Unterkunft in Nördlingen verdorbenes Essen angeliefert wird. «Wir haben verschimmelte Brote bekommen». Viele Flüchtlinge seien «krank und kaputt». «Manche spielen verrückt.» Deswegen flüchteten Afrikaner häufig in die Illegalität und tauchten nur zum Monatsende in der Unterkunft auf. «Die Menschen kaputt zu machen, ist nicht Ziel des Gesetzes», sagte er. Die 19 Jahre alte Kurdin Nissrin Ali aus Syrien sagte: «Ich habe die Schule gemacht, meinen Quali, aber ich darf nicht arbeiten und keine Ausbildung machen.» Grund ist, dass sie eigentlich vor drei Jahren hätte abgeschoben werden sollen. Viele Asylbewerber werden zwar nicht anerkannt, bleiben aber trotzdem jahrelang in Deutschland, weil in ihrer Heimat Krieg herrscht oder ihnen Verfolgung droht.

Eingeschlossen in Mauern und Stacheldraht

Der Bayerische Flüchtlingsrat nannte die Unterkünfte «Lager». In Würzburg seien die Asylbewerber in einer ehemaligen Kaserne untergebracht, umschlossen von einer «hohen Mauer und gekrönt mit NATO-Stacheldraht». Der Zutritt sei ohne Genehmigung der Regierung von Unterfranken nicht erlaubt, sagte Alexander Thal vom Flüchtlingsrat. Die Stadt München plädiert dafür, die Flüchtlinge längstens ein Jahr in einer Gemeinschaftsunterkunft unterzubringen. Nach Angaben der Caritas sind aber auch viele Flüchtlinge, die arbeiten dürfen und sowohl eine Stelle als auch eigenes Einkommen haben, zum Wohnen in einer Gemeinschaftsunterkunft gezwungen. «Ihnen wäre wahnsinnig geholfen, wenn sie in eine eigene Wohnung ziehen dürften», sagte Prälat Wilhelm Dräxler.

Das Sozialministerium betonte, dass die Gemeinschaftsunterkünfte nach Recht und Gesetz betrieben werden. Dort seien überwiegend abgelehnte Asylbewerber untergebracht, die Deutschland wieder verlassen müssten, sagte der Ministerialbeamte Oliver Bloeck. Die durchschnittliche «Verweildauer» sei drei Jahre. In einem Fall war ein Flüchtling 18 Jahre in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht. Im Schnitt kostet ein Flüchtling die Staatskasse 675 Euro pro Monat. Für das Essen sind laut Ministerium 100 Euro pro Monat vorgesehen. «Wir haben derzeit eine Lebensmittelversorgung, die weitgehend den persönlichen Bedürfnissen gerecht wird», sagte Bloeck. Wenn tatsächlich verschimmeltes Essen angeliefert werde, «dann kann und darf das nicht sein».

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