Süddeutsche Zeitung, 30.12.2008
Auszug aus den Rattencontainern
Regierung lässt Flüchtlingsunterkünfte schließen - Caritas kritisiert fehlendes Fingerspitzengefühl der Behörden
Um zehn Uhr morgens sollten ein Bus und ein Lastwagen Bewohner und ihre Utensilien nach "Am Moosfeld" bringen. Erlaubte Mitnahmemenge pro Person: ein Fernseher und zwei Umzugskartons. Die meisten füllten ihre Kartons naturgemäß mit Kleidung und Bettzeug; zurückbleiben mussten Geschirr, Küchengeräte, private Möbel, andere persönliche Habe. Dann mussten die Bewohner ihre alten Zimmerschlüssel abgeben, teilte die Regierung von Oberbayern mit, welche die Unterkunft betreibt. Den Rest ihrer Habseligkeiten, so wurde ihnen gesagt, könnten sie im Januar abholen.
Das findet Sabine Hodek von der Caritas, die die Flüchtlinge betreut, unmöglich: "Vielleicht ist einer erst von der Nachtschicht nach Hause gekommen, packt in großer Eile etwas zusammen - und merkt erst dann, dass er etwas Wichtiges vergessen hat?" Der Transport wäre kein Problem gewesen - genügend ehrenamtliche Helfer der Caritas standen bereit, um die Leute zu fahren. Eine Sprecherin der Regierung sagte, nach ihren Informationen sei der Umzug "gut gelaufen". Ein Umzug des kompletten Mobiliars sei wegen der Kürze der Organisationszeit nicht möglich gewesen. Sie wies darauf hin, dass die Zimmer mit neuen Möbeln ausgestattet seien, außerdem verfüge das Haus über eine Satellitenanlage für die Fernseher.
Wegen der Unterkünfte in der Rosenheimer und der Waldmeisterstraße stand die Regierung von Oberbayern seit langem in der Kritik. Als Videos auftauchten, auf denen Ratten zu sehen waren, die in den Küchen spielten, nahmen sich der Münchner Stadtrat und der Landtag der Sache an - Letzterer ordnete Anfang Dezember die Schließung der Container zum Jahresende an. Die Regierung musste also schnell handeln.
Auch in der neuen Unterkunft in Moosfeld lief am ersten Tag nicht alles reibungslos. Die Bewohner beklagten vor allem, dass nun vier bis fünf Personen in einem 18-Quadratmeter-Zimmer untergebracht sind, ein bis zwei mehr als zuvor. Zudem habe die Regierung bei der Zusammenstellung der Zimmergemeinschaften keine Sensibilität bewiesen: "Ein Ostafrikaner versteht sich nicht unbedingt mit einem Westafrikaner", sagt Caritas-Mitarbeiterin Hester Butterfield. "Und auch nicht alle Araber sind die besten Freunde." Außerdem mache es die höhere Belegung den Bewohnern schwer, den Alltag zu organisieren, sagt Butterfield: "Wer kommt wann heim, wer will wann schlafen, wer kochen, wer fernsehen?" Auch für die Jugendlichen, die sich auf den Schulabschluss vorbereiten, werde es schwieriger, Ruhe zum Lernen zu finden. Nur ein Bewohner habe etwas Galgenhumor gezeigt: "Hoffentlich habt ihr den Ratten nicht die neue Adresse gesagt", habe er gemeint.
Stephan Handel