Süddeutsche Zeitung, 04.07.2013

Aussichtslose Fälle zuerst

Asylverfahren in Deutschland

Hungerstreik in München: Asylbewerber kämpfen mit allen Mitteln um die Anerkennung ihrer Anträge. Foto: dpa


Bei Anträgen, über die sich Hubert Heinhold richtig ärgert, dauert es zwölf, manchmal 20 Monate. Es sind Jahre, in denen nichts passiert, kein Bescheid, in manchen Fällen nicht einmal eine Anhörung, die eigentlich am Anfang des Asylverfahrens steht. Fast noch mehr ärgert er sich allerdings, wenn ein Antrag nach 14 Tagen entschieden ist. Diese Entscheide seien kaum mehr als standardisierte Versatzstücke, die wenig mit dem konkreten Fall zu tun hätten. Und was Hubert Heinhold, Flüchtlingsanwalt aus München, am meisten aufbringt, ist, dass beides - die ganz kurzen und die ganz langen Bearbeitungszeiten - miteinander zusammenhängt.

"Wenn jemand aus dem Iran einen Asylantrag stellt, an dem substantiell etwas dran ist und die Entscheidung auch positiv ausfallen kann, ist zurzeit mit einer Bearbeitungszeit von mindestens 16 Monaten zu rechnen", sagt Heinhold. Tatsächlich weichen die Bearbeitungszeiten weit voneinander ab. Für das erste Quartal 2013 wird, so die Antwort auf eine kleine Anfrage der Linken im Bundestag, von 7,9 Monaten ausgegangen. So lange dauert es im Schnitt, bis eine Entscheidung über den Asylantrag gefallen ist.

Doch während Anträge von serbischen Staatsangehörigen nach durchschnittlich 2,6 Monaten entschieden sind, mussten zur gleichen Zeit Afghanen 13,7 und Somalier 15,5 Monate auf ihren Bescheid warten. Im Jahr 2012 kommt der Antrag aus Afghanistan durchschnittlich sogar auf 17,2 Monate. Nach einer Richtlinie der EU sollten Asylverfahren nach sechs Monaten abgeschlossen sein.

"Die langen Wartezeiten waren einer der wichtigsten Gründe für die jüngsten Proteste am Münchner Rindermarkt , sagt Bernd Mesovic, stellvertretender Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl. Er sieht in diesen Zahlen eine Ungleichbehandlung, unter der gerade diejenigen leiden, die auf einen positiven Bescheid hoffen dürfen: Somalier, Iraner, Iraker. Die Anerkennungsquote bei diesen Staatsangehörigen lag 2013 bei über 50 Prozent. Und die Bearbeitungsdauer? Fast immer länger als zwölf Monate. "Wir sprechen von einem Diebstahl von Lebenszeit, der viele junge, politisch engagierte Menschen betrifft", sagt Mesovic.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge habe sich darauf konzentriert, Anträge von Asylbewerbern aus dem Balkan wegzuentscheiden. Eine Anordnung von oben: Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hatte 2012 eine Offensive gestartet. 60 Mitarbeiter der Bundespolizei wurden an das Bundesamt mit Sitz in Nürnberg ausgeliehen, um Migranten aus Serbien und Mazedonien, die, so Friedrich, aus "asylfremden, insbesondere aus wirtschaftlichen Motiven" kämen, rasch loszuwerden. Zuvor war die Zahl der Anträge aus diesen Ländern stark gestiegen. Die Offensive zeigte Wirkung: Die Bearbeitungszeit ging zum Teil auf 14 Tage zurück, 99 Prozent der Anträge wurden abgelehnt. Anträge aus dem Balkan wurden weniger.

Ist die Botschaft angekommen?

Was beim Innenminister Freude auslöste ("Die Botschaft ist angekommen"), ist für Mesovic "eine gigantische politische Manipulation". Die Menschenrechtssituation in Serbien und Mazedonien sei für Roma - und um die ging es fast immer - gefährlicher als Friedrich behaupte. Eigentlich könnte man zusätzliche Mitarbeiter beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, wo über jeden Antrag entschieden wird, gut gebrauchen.

Bis Mai 2013 wurden dort laut Statistik 38.794 Anträge eingereicht - 70 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum 2012. Seit 2008 hat sich die Zahl der Asylanträge fast verdreifacht, auf zuletzt 77.651 im Jahr 2012. Das Bundesamt hat 2000 Angestellte, längst nicht alle entscheiden Asylverfahren. 1992, als mehr als 438.000 Erstanträge gestellt wurden, waren es doppelt so viele. Nach der Änderung des Asylrechts 1993 ging die Zahl der Anträge massiv zurück, die Personalausstattung wurde angepasst.

Inzwischen kommen aber wieder mehr Flüchtlinge nach Deutschland, oft schwer traumatisierte Menschen aus Kriegsgebieten. Aus dem Amt heißt es, man habe die Zahl der Mitarbeiter erhöht, die Anhörungen erledigen, sei aber auf die Stellenzuweisungen aus dem Bundeshaushalt angewiesen. Prioritäten in der Bearbeitung gebe es nicht nur im Falle der Balkanstaaten, sondern auch, wenn es "plötzliche Umbrüche in einem Herkunftsland" gebe. Im Fall Syrien etwa habe es länger gedauert, bis das Amt die Lage im Land einschätzen konnte.

In der Kanzlei von Flüchtlingsanwalt Heinhold sehen die Folgen so aus: Somalier, Antrag vom März 2012, bisher keine Anhörung. Myanmare, Anhörung im August 2012, keine Entscheidung. Somalier, Antrag vom August 2010, Anhörung im März 2013. Seither: nichts. Heinhold betreut mehr als 100 Menschen, die warten. "Dabei handelt es sich oft um klare Fälle, die man in wenigen Wochen am Schreibtisch entscheiden könnte", sagt Heinhold. Und: "Eigentlich sind die Richtlinien des Amtes so, dass man positive Entscheidungen vorziehen sollte."

Charlotte Theile

Quelle: Süddeutsche Zeitung

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