Süddeutsche Zeitung, 02.12.2011
Aufnahmelager Zirndorf: 500 Betten für 667 Asylbewerber
Menschenunwürdige Zustände in Zirndorf: Das Aufnahmelager in dem fränkischen Städtchen ist überfüllt - Privatsphäre gibt es nicht. Mehr als 100 Asylbewerber teilen sich einen Waschraum, Familien werden auseinandergerissen.
Im Vorzimmer von Werner Staritz hängen zwei Schilder mit bayerischem Wappen. "Sammellager für Ausländer" steht auf dem ersten, auf dem anderen: "Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber." Beide Schilder sind Geschichte, die Einrichtung im fränkischen Städtchen Zirndorf wechselt öfters mal ihren Namen, und inzwischen ist man bei "Zentrale Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber" angelangt, das klingt gut.
Flüchtlingswohnheim in München, 2010 Bild vergrößern
Am Eingang der früheren Polizeikaserne - man steht vor einem blickdichten Schiebetor neben einem mannshohen Zaun - sieht die Einrichtung allerdings immer noch so aus als wäre sie ein Sammellager.
Dabei ist es so, dass Werner Staritz - er leitet die Einrichtung - sich durchaus bemüht. Er war schon in Zirndorf, als dort sogar der Begriff "Sammellager" eher wie eine Beschönigung klang. In den 1980er Jahren war das, damals mussten Asylbewerber in Zirndorf in Zelten campieren, weil doppelt so viele Menschen im Lager waren als dort Betten stehen. Verglichen damit waren die Verhältnisse später dann fast komfortabel: Jeder Asylbewerber hatte ein Bett, ein Kindergarten konnte eingerichtet werden, auch ein muslimischer Gebetsraum.
Die Teppiche in diesem Raum liegen zwar noch immer, wer ihn aber betritt, sieht Gläubige, die ihre Gebete neben Stockbetten sprechen. Es riecht so, wie es in Sammelschlafzimmern eben riecht. Dem Beamten Staritz ist es sichtlich unangenehm, Gäste durch diese Schlafräume zu führen. "Manchmal", sagt er, fühle er sich in Zirndorf "schon im Stich gelassen".
500 Betten gibt es in der Einrichtung, derzeit schlafen dort 667 Menschen. Mit schlimmen Konsequenzen, sagt Erwin Bartsch. Der Religionspädagoge von der evangelischen Gemeinde in Zirndorf besucht einmal pro Tag die Menschen hinterm Zaun. Dass dort auch noch die Kapelle St. Paul mit Doppelstockbetten ausgerüstet wird, konnte gerade noch verhindert werden.
Aber auch so hält Bartsch die Unterbringung für "menschenunwürdig": Familien werden auseinandergerissen, damit Betten nicht unbelegt bleiben. Zeitweise mussten sich zwei Kinder ein Bett teilen. Für 127 Männer gibt es einen Waschraum - um nicht anstehen zu müssen, behelfen sich viele am Spülbecken.
Es fehle jegliche Privatsphäre, auch für traumatisierte Flüchtlinge, sagt Bartsch. Hauterkrankungen sind verbreitet, schlimmer noch ist der soziale Stress: Wo in einem Zimmer gebetet und geschlafen wird, da steigt das Konfliktpotenzial.
Warum diese drangvolle Enge? Es gibt viele Gründe, sagt Staritz. Als die Zahl der Asylbewerber in den letzten Jahren abnahm, wurden viele Gemeinschaftsunterkünfte - auf die Asylbewerber nach den drei Monaten in Zirndorf verteilt werden - geschlossen.
Im letzten Jahr stieg die Zahl der Bewerber dann stark an, für eine weitere Erstaufnahme-Einrichtung in Bayern aber fand die Staatsregierung keinen geeigneten Platz. "Die Kommunen sagen zwar, sie tun ihr Bestes, finden aber im Zweifelsfall für Asyl-Unterkünfte leider gerade keine geeignete Immobilie." Staritz lächelt sarkastisch. So entsteht der Stau in Zirndorf.
Von dort aus werden die Menschen auf Unterkünfte in ganz Bayern verteilt. Sie sollten es zumindest. Nach Ebersdorf bei Coburg zum Beispiel - und von dort aus ist die Sicht der Dinge eine ganz andere: Anfang des Jahres hat es in Ebersdorf viel Theater gegeben, weil der Ort mit den 6000 Einwohnern 120 Asylbewerber aufnehmen sollte.
Zu viele, fanden die Ebersdorfer. Nun leben 43 Menschen in einer Unterkunft mitten im Ort. "Jetzt sitzen sie halt da und wissen nicht recht, was sie tun sollen", sagt Bürgermeister Bernd Reisenweber.
Es gibt kein Café im Ort, nichts, womit sich die Asylbewerber in ihrer Freizeit beschäftigen könnten. Den Zug nach Coburg können sie sich mit 40 Euro Taschengeld im Monat nicht leisten. Deshalb findet der Bürgermeister, solche Unterkünfte sollten eigentlich nur in größeren Städten stehen.
In Bamberg zum Beispiel. Gerade 49 Asylbewerber sind dort bislang untergebracht, zu wenig, findet die Regierung von Oberfranken. Bamberg soll mehr aufnehmen, in vergleichbaren Städte wie Bayreuth oder Hof leben jeweils mehr als 200 Asylbewerber. Derzeit wird ein Domizil gesucht, seit Monaten schon. Die ehemalige "Hauptwerkstatt für Postkraftwagen" stand zur Debatte, für 150 Menschen sollte Platz geschaffen werden.
Sofort aber formierte sich Widerstand, angeführt von der örtlichen CSU. Die Gegner formulierten Szenarien, wonach bis zu 500 Menschen in dem alten Industriegebäude einziehen könnten - und fanden Gehör. Die Stadt ist weiter auf der Suche. Bis Asylbewerber in Bamberg in ein passendes Domizil einziehen können, dürfte noch einige Zeit vergehen.
Zeit, die Werner Staritz nicht hat. Die Cafeteria in Zirndorf kann er im Notfall noch mit Betten vollstellen, den Internetraum auch. Den Kindergarten aber will er nicht anrühren. Notfalls, sagt Staritz, "hänge ich selbst ein Schild an den Zaun: Wegen Überfüllung geschlossen."
Von Katja Auer und Olaf Przybilla
Quelle: Süddeutsche Zeitung