Neue Presse Coburg, 02.12.2010

Asylbewerber wollen Geld statt Essen

Asylbewerber wollen Geld statt Essen


Der sogenannte Hungerstreik von Asylbewerbern hat sich nach Einschätzung von Flüchtlingsorganisationen zur bayernweiten Protestwelle entwickelt. Mittlerweile verweigern rund 450 Bewohner von Unterkünften in Denkendorf, Augsburg, Schwabmünchen, Coburg und Hauzenberg die Annahme von Essenspaketen. Allerdings ist damit nicht automatisch verbunden, dass die Flüchtlinge generell nichts mehr essen. "Das ist lediglich in Augsburg so", bestätigte Alexander Thal, Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrats, der Neuen Presse auf Anfrage.

Mit der Aktion wollen die Flüchtlinge landesweit auf ihre Situation aufmerksam machen. Die Asylbewerber verlangen unter anderem Bargeld statt Essenspakete, um sich Lebensmittel ihrer Wahl kaufen zu können. Zudem fordern sie laut Thal "menschenwürdiges Wohnen", Zugang zu Deutschkursen und kritisieren Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit. Früher durften sie den Landkreis Coburg nicht verlassen, mit der Neuregelung der Residenzpflicht können sie sich inzwischen wenigstens in Oberfranken frei bewegen.

In der Asylbewerberunterkunft in der Coburger Uferstraße, die in den letzten Wochen Besuch von zahlreichen Kommunal- und Landespolitikern erhalten hatte, zeigt ein Bewohner eine Liste, auf der er ankreuzen soll, was er essen möchte. Aus jeder Kategorie - Brot, Salat und Gemüse, Obst, Fleisch- und Fertiggerichte, Brotzeit und Milchprodukte - kann er drei Positionen ankreuzen, Vegetarier sogar vier. Alle drei, beziehungsweise vier Tage gibt es eine neue Bestellung, einmal im Monat stehen haltbare Lebensmittel wie beispielsweise Gewürze auf dem Programm.

Der Mitdreißiger, er sagt er sei aus Syrien, deutet auf ein paar Sachen: Salami, eine Dose Ravioli und etwas Schnittkäse. Auf dem Tisch liegt ein Stück angebissener Pizza. Es schaut alles nicht so aus, dass man nun unbedingt gleich mitessen wollte, allerdings liegt das weniger an den Nahrungsmitteln als an den Begleitumständen. In den Zimmern hat sich nichts geändert in der Uferstraße - weder an der Ordnung, noch an den hygienischen, teils allerdings auch hausgemachten Umständen.

Felleke Bahiru Kum hat zehn Jahre lang in Wohnheimen wie dem in der Uferstraße verbracht, seit September letzten Jahres ist der Äthiopier anerkannt. Er studiert an der Hochschule (siehe unten) und hat durch die Einschaltung des Flüchtlingsrates als erster auf die Situation in Coburg aufmerksam gemacht. "Hungerstreik", sagt er, "das stimmt hier so nicht". Der Essensboykott, beziehungsweise die Nichtannahme der Essenspakete von rund 30 Flüchtlingen, sei jedoch die einzige Möglichkeit neben dem Hinweis auf die "menschenunwürdige" Art der Unterbringung auf die "verzweifelte Lage" der Flüchtlinge aufmerksam zu machen. "Die Menschen hier haben Angst, etwas zu sagen", weil sie es aus ihren Heimatländern nicht anders gewohnt sind, als dass bei Aufbegehren sofort Repressalien drohen. "Wir werden abgeschoben, wenn wir uns wehren: das ist in den meisten Köpfen so drin."

Der 36-Jährige fordert wie der Flüchtlingsrat Geld statt Essenspaketen, Recht auf Arbeit und uneingeschränkte Bewegungsfreiheit mindestens in Bayern. 40 Euro Taschengeld erhalte ein Flüchtling derzeit im Monat.

Nur wenn er einen besonderen Grund angibt, kann er den Regierungsbezirk verlassen. Das kostet zehn Euro. "Was ein besonderer Grund ist", erzählt Bahiru Kum, "entscheidet ein Sachbearbeiter nach Gesicht."

Felleke Bahiru Kum: Träger des Menschenrechtspreises 2009

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Felleke Bahiru Kum studiert seit Oktober an der Hochschule Coburg Technik- und Ingenieurwissenschaften. 2009 hat ihn die Stiftung "Pro Asyl" mit ihrem Menschenrechtspreis "Pro-Asyl-Hand" ausgezeichnet. Zu der Zeit lebte Bahiru Kum in der Nördlinger Asylbewerberunterkunft.

Der Äthiopier, seit September letzten Jahres genießt er Abschiebeschutz, hat sich während seines zehnjährigen Aufenthalts in Flüchtlingslagern unermüdlich für die Rechte der Bewohner eingesetzt und jede Gelegenheit genutzt, die Öffentlichkeit auf die Missstände aufmerksam zu machen. Gemeinsam mit Nissrin Ali, einer staatenlosen Kurdin aus Syrien, die sich den Preis mit ihm teilt, hat er der bayerischen Sozialministerin Christine Haderthauer persönlich eine Petition mit über 3000 Unterschriften gegen die Lagerpflicht überreicht. Im bayerischen Landtag sind die beiden als Experten zum Asylbewerberleistungsgesetz angehört worden.

Mit der Auszeichnung "Pro-Asyl-Hand" würdigt die Stiftung "Pro Asyl" jährlich beispielhaften Einsatz für die Menschenrechte Asylsuchender und gegen Diskriminierungen in Deutschland. Durch sein Engagement habe Felleke Bahiru Kum eindrucksvoll gezeigt, dass Betroffene trotz aller Widerstände erfolgreich für ihre eigenen Rechte eintreten können. Felleke Bahiru Kum meint dazu schlicht, "nichts zu tun, wäre ein verlorenes Leben". Pro Asyl kritisiert seit Langem das soziale Elend und die unmenschliche Ausgrenzung, denen Schutzsuchende durch den Lagerzwang in Deutschland ausgesetzt sind. Es sei höchste Zeit, das Asylbewerberleistungsgesetz abzuschaffen, sodass Asylsuchende in Deutschland ein menschenwürdiges Leben führen können. "Das Vegetieren in derartigen Behausungen ist nicht hinnehmbar", sagt Günter Burkhardt, Vorstand der Stiftung.

Von Volker Friedrich

Quelle: Neue Presse Coburg

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