heute.de, 18.07.2012

"Asylbewerber leben hier menschenunwürdig"


Bekommen Asylbewerber zu wenig Geld? Darüber urteilt heute das Bundesverfassungsgericht. Die finanzielle Unterstützung ist viel zu gering, sagt Günter Burkhardt von Pro Asyl im heute.de-Interview. Dabei sei dies nur einer von zahlreichen Missständen.

heute.de: Wo genau liegt das Problem beim Asylbewerberleistungsgesetz?

Günter Burkhardt: Asylsuchende erhalten Leistungen, die nur rund 60 Prozent des Hartz IV-Satzes entsprechen, also von dem, was finanziell in Deutschland als Existenzminimum gilt. Nicht nur wir von Pro Asyl halten diese evident zu niedrigen Sozialleistungen für eine Diskriminierung.

heute.de: Wurden da in den letzten Jahren vielleicht einfach nötige Anpassungen versäumt?

Burkhardt: Versäumt? Mit Sicherheit nicht. Das geschah mit voller Absicht. Das Asylbewerberleistungsgesetz ist Bestandteil einer Abschreckungstrategie, die im Jahr 1993 Gesetz wurde. Die Politik dachte, wenn ich viele Abschreckungsmaßnahmen per Gesetz regle, dann kommen auch weniger Asylsuchende. Dazu zählen aber nicht nur viel zu geringe Barbeträge beziehungsweise Sachleistungen unterhalb des Existenzminimums, sondern auch die Isolierung von Flüchtlingen, ihre gewollte Ausgrenzung aus der deutschen Gesellschaft.

heute.de: Eine erfolgreiche Strategie?

Burkhardt: Das ist ein Irrglaube. Menschen fliehen aus dem Irak, aus dem Iran oder aus Afghanistan nicht wegen ein paar Euro nach Deutschland. Sie fliehen vor Verfolgung und Krieg. Und Flüchtlinge gehen oft dorthin, wo bereits andere Flüchtlinge aus ihrer Community Fuß gefasst haben. Die Höhe von Sozialleistungen ist nicht maßgeblich für die Entscheidung, nach Deutschland zu fliehen.

heute.de: Wie lebt es sich denn so als Asylbewerber in Deutschland?

Burkhardt:: In vielen Fällen menschenunwürdig. In Bayern, in Baden-Württemberg und in ostdeutschen Bundesländern werden Flüchtlinge oft in Lagern untergebracht. Sie werden mit Essenspaketen versorgt, ihnen wird das Recht genommen, selbst über ihre Ernährung zu entscheiden. Ihr Alltag besteht aus Warten, aus Nichtstun. Dies führt dazu, dass Menschen psychisch kaputt gemacht werden.

heute.de: Gibt es auch positive Beispiele?

Burkhardt: In einigen Bundesländern werden Flüchtlinge überwiegend in Wohnungen untergebracht. Das ist gut, denn es erleichtert die Integration. Für viele der Flüchtlinge ist es dann nach Ende des einjährigen Arbeitsverbots auch einfacher, Arbeit zu finden. Integration von Anfang an ist ein ganz zentraler Punkt, den Pro Asyl fordert.

heute.de: Aber viele Asylbewerber werden doch gar nicht anerkannt. Wozu dann integrieren?

Burkhardt: Gut 20 Prozent der Asylsuchenden werden direkt vom Bundesamt oder später in einem Verfahren anerkannt. Viele derjenigen, die nicht anerkannt werden, bleiben aber dennoch eine lange Zeit oder sogar dauerhaft in Deutschland. Weil sie nicht in ein Kriegsgebiet abgeschoben werden können. Oder auch weil sie krank sind. Es ist inhuman, diese Menschen hier auszugrenzen. Und es ist übrigens auch viel teurer. Die Unterbringung in großen Lagern mit Zwangsverpflegung ist immer teurer, als wenn Menschen sich selbst in ihrer eigenen Wohnung versorgen. Eine Abschaffung von Zwangsunterbringungen würde also nicht nur soziale Konflikte verhindern, sondern auch Kosten sparen.

heute.de: Was erwarten Sie von dem Urteil in Sachen Asylbewerberleistungsgesetz?

Burkhardt: Pro Asyl hofft, dass das Verfassungsgericht diese jahrelange Ungleichbehandlung beendet. Das Grundgesetz schützt die Würde des Menschen, nicht des deutschen Staatsbürgers. Das Sozialrecht darf nicht zum Zweck der Abschreckung missbraucht werden. Pro Asyl fordert, dass Menschen wie Menschen behandelt werden. Die Ausgrenzung per Gesetz ist menschenunwürdig.

Das Interview führte Christian Busse

Quelle: heute.de

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