Die Augsburger Zeitung, 06.04.2010

Asyl-Streik: Politiker besuchen Sammelunterkunft

Früher Unterkunft für’s Militär, heute für Flüchtlinge: Hindenburgkaserne

 

Residenzpflicht, Essenspakete statt Verpflegungsgeld, Wohnen in Mehrbettzimmern: Asylbewerber in Bayern zu sein ist kein Zuckerschlecken. Augsburger Lokalpolitiker machten sich am vergangenen Mittwoch ein Bild von der Situation in der Flüchtlingsunterkunft in der Calmberstraße.

Seit den 80er Jahren dient die ehemalige Hindenburgkaserne in der Calmberstraße 2a bereits als Sammelunterkunft für Asylbewerber. Das Gebäude im Augsburger Antonsviertel ist mit 110 Männern belegt, die meisten kommen derzeit aus Afghanistan und China. Seit Wochen ist die Situation von Asylsuchenden in Bayern in der Diskussion. Flüchtlinge streiken und verweigern die Annahme von Essenpaketen, um auf ihre unwürdigen Lebensbedingungen aufmerksam zu machen. Auch in der Calmberstraße beteiligen sich zehn Bewohner an der Aktion.

Grund genug für die Landtagsabgeordneten Christine Kamm (Grüne) und Brigitte Meyer (FDP), Stadtrat Benjamin Clamroth (Die Linke) und Matthias Strobel (Vorstandssprecher der Augsburger Grünen), sich vor Ort ein Bild von der Situation zu machen.

Jahrelang im Mehrbettzimmer

Hohe, helle Zimmer mit zwei bis vier Betten je nach Zimmergröße, ein 6-Bett-Zimmer, Sammelduschen, Gemeinschaftsküchen, Lebensmittelpakete nach Bestellschein: Schlafen und Grundbedürfnisse befriedigen kann man, wenn man mit dem Kasernenstandard des frühen 20. Jahrhunderts zufrieden ist und über eine robuste physische und vor allem psychische Konstitution verfügt.

Genau das ist aber das Problem, wie Werner Neumann vom HiFF (Intensives Hilfswerk für Flüchtlinge mit besonderem Betreuungsbedarf) berichtet: “Kann jemand zwei Jahre lang in einem 6-Bett-Zimmer leben?” Ausweichmöglichkeiten in dem zu 95% belegten Gebäude gibt es nämlich nicht. Für Flüchtlinge, die sich in einer besonderen psychischen oder gesundheitlichen Situation befinden oder die sozial auffällig sind, gibt es keine Möglichkeit der - auch nur vorübergehenden - Unterbringung in Einzelzimmern. Dies ist stark belastend, sowohl für die Betroffenen selbst als auch für deren zwangskasernierte Mitbewohner, so Neumann.

Zwei Jahre Wohnen unter diesen Umständen sind kein Ausnahmefall, wie Gitta Schmid-Göller, Sachgebietsleiterin für Asylangelegenheiten bei der Regierung von Schwaben und Hong-Lam Pham, ständiger Betreuer der Caritas, erklären: 20 der 110 Bewohner sind bereits länger als fünf Jahre hier, 13 über 10 Jahre, einer seit über 20 Jahren. Eine Perspektive, die sich Herr N., Tiermediziner aus dem Irak und seit 15 Tagen Mitbewohner eines 2-Bett-Zimmers gar nicht vorstellen kann. Wie Herr N. sind viele der Flüchtlinge hoch qualifiziert und haben im Durchschnitt einen höheren Bildungsabschluss als die deutsche Normalbevölkerung, so Werner Neumann.

“Parteiübergreifende gemeinsame Kraftanstrengung nötig”


Betreut werden die Flüchtlinge von der Caritas, dem Verein Tür an Tür und vom HiFF, denen Gitta Schmid-Göller beste Noten ausstellt. Angeboten werden Deutschkurse, Begleitung bei Ämter- und Arztgängen, Beschäftigungsprojekte, Qualifizierungsangebote sowie Beratungen aller Art, z.B. zum Anerkennungsverfahren und zur Arbeitserlaubnis und Wohnungssuche nach Anerkennung im Asylverfahren.

Auch wenn in Bayern vor wenigen Wochen die Residenzpflicht gelockert wurde und sich die Asylbewerber nun über die Grenzen ihres Meldelandkreises hinweg bewegen dürfen: Für die FDP-Politikerin Brigitte Meyer, Ausschussvorsitzende für Soziales, Familie und Arbeit im Bayerischen Landtag, ist das kein Grund zur Untätigkeit. Über die Parteigrenzen hinweg sollen weitere dringende Probleme der Asylbewerber “in einer gemeinsamen Kraftanstrengung” angegangen werden, war man sich am Ortstermin einig. So stehen für die Grünen Verbesserungen bei der Verpflegung und der Bedingungen bei der Unterbringung - im Idealfall die Abschaffung von Sammelunterkünften - ganz oben auf der Agenda. Die Linken fordern “Bargeld statt Essenspakete”, die unbürokratische Handhabung von Arbeitserlaubnissen und kostenlose Rechtsberatungen für die Asylbewerber ein.

Anfang Mai steht das Thema Asyl wieder auf der Tagesordnung des Bayerischen Landtags. Zurzeit läuft außerdem eine Petition zur bundesweiten Abschaffung der Residenzpflicht für Asylbewerber. Die Petition kann noch bis 27. April online unterzeichnet werden.

Link zum Beitrag:
http://www.daz-augsburg.de/?p=11439

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