Die Welt, 11.06.2012

Asyl-Protest in Bayern

Zugenähte Lippen – Grüne sieht Grenzüberschreitung


Eine der treuesten Unterstützerinnen der demonstrierenden iranischen Flüchtlinge in Würzburg hat sich von deren Vorgehen klar distanziert. In einem offenen Brief ruft die Landtagsabgeordnete Simone Tolle (Grüne) die Iraner dazu auf, das weitere Zunähen von Lippen zu stoppen und andere Protestformen zu suchen.

Dessen ungeachtet nähten sich am Montag zwei weitere Männer aus Würzburg und Augsburg sowie eine Frau aus Bayreuth ebenfalls die Lippen zu. Die Zahl der auf diese Weise protestierenden Iraner steigt somit auf sechs.

Protest ja, aber nicht auf diese Weise

Die Grünen-Abgeordnete versichert in ihrem mehrseitigen Brief weiter ihre Solidarität mit den politischen Zielen der demonstrierenden Iraner. Die bayerische Asylpolitik sei "geprägt von Misstrauen, Bevormundung und Diskriminierung", schreibt sie, die Menschen würden entmündigt. Es sei richtig, dass die zehn iranischen Flüchtlinge seit dem 18. März gegen diese Zustände protestieren. "Dafür gebührt euch mein ganzer Respekt und meine allergrößte Hochachtung", erläutert Tolle und listet die bisherigen Erfolge des iranischen Dauerprotests einzeln auf.

Es sei bedauerlich, dass trotz eines Gesprächs am 4. April auch mit Vertretern der bayerischen Staatsregierung bislang niemand auf ihre allgemeinen politischen Forderungen eingegangen sei. Sie fordere daher alle "in irgendeiner Weise am Asylrecht und seinem Vollzug" Beteiligten dazu auf, sich der Diskussion mit den iranischen Demonstranten in der Würzburger Innenstadt zu stellen. Gleichwohl gefährdeten dir Iraner mit der Radikalisierung ihres Protests ihre bisherigen Erfolge und machten "jeden politischen Dialog für die Sache aller Flüchtlinge unmöglich".

Auch wenn es den Iranern nicht gefalle, durch solche Aktionen wie das Zusammennähen ihrer Lippen brächten sie sich um die Solidarität aus der Bevölkerung: "Ihr habt damit eine Grenze überschritten." Tolle forderte die iranischen Flüchtlinge in ihrem Brief aber nicht nur dazu auf, sich die zugenähten Münder wieder zu öffnen, sondern auch, ihren Protest rund um die Uhr einzustellen. "Ihr könnt nicht dauerhaft Tag und Nacht auf der der Straße bleiben", schreibt Tolle. Sie schlage deswegen vor, die politische Arbeit an einem "Tagesinfostand" fortzusetzen.

Mit zugenähten Lippen in den Hungerstreik

Damit die Flüchtlinge nicht zurück in ihre Gemeinschaftsunterkünfte müssen, appelliere sie an die Verantwortlichen, den Asylbewerbern einen Raum zur Verfügung zu stellen, indem sie so lange leben können, bis die noch ausstehenden drei Gerichtsverfahren der ursprünglich zehn demonstrierenden iranischen Männer abgeschlossen sind. Dies soll nach Auskunft der Behörden spätestens Ende dieses Jahres sein.

Seit vergangenem Montag hatten sich insgesamt vier Männer die Lippen zugenäht und waren damit in einen verschärften Hungerstreik getreten. Einer der beiden, die sich erst am Mittwoch die Münder zugenäht hatten, ist nierenkrank und musste zwischenzeitlich im Krankenhaus behandelt werden. Der andere der beiden Männer erfuhr fast zeitgleich mit Beginn seines Hungerstreiks von seiner Anerkennung als Flüchtling und hat seinen Protest deshalb beendet.

Die Flüchtlinge fordern unter anderem die Abschaffung der Residenzpflicht, der Gemeinschaftsunterkünfte und der Essenspakete. Sechs der ursprünglich zehn demonstrierenden Iraner wurden seit Protestbeginn als Flüchtlinge anerkannt.

Daniel Staffen-Quandt

Quelle: Die Welt

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