Neues Deutschland, 18.07.2011

Alles klar oder egal?

Ndeye Awa Sandjiry: »Die Leute haben kein Herz.«

Das Asylbewerberleistungsgesetz, das Flüchtlingen hierzulande kein würdiges Leben gestattet, wird in Bayern restriktiv gehandhabt. Die LINKE lud 50 von dem Gesetz Betroffene in den Bundestag ein. Das Innenministerium empfing die Flüchtlinge nicht einmal.

»Ich habe gedacht, Deutschland ist ein Land, in dem man frei sein kann«, sagt Ndeye Awa Sandjiry Kebe, eine Frau aus dem Senegal. Sie ist 21 Jahre alt, vor eineinhalb Jahren hat sie es nach Deutschland geschafft. Die Asylbewerberunterkunft, in der sie ihr Dasein fristen muss, liegt 30 Kilometer von Augsburg entfernt, in the middle of nowhere. »Wie kann ich integriert sein, wenn ich keine Kontakte habe und mir keine erlaubt sind, wenn wir eingesperrt sind?«, fragt sie. Eingesperrt, so muss man das nennen. Awa muss sich mit drei anderen Menschen aus anderen Ländern einen Raum von etwa 20 Quadratmetern teilen. Eine Ausbildung, selbst ein Deutsch-Kurs, werde ihr verwehrt, sagt sie. »Wir sind doch Menschen, keine Tiere.« Sie ist nicht die einzige, die so spricht.

Awa sitzt, gemeinsam mit anderen Flüchtlingen, in einem Sitzungsraum des Bundestages. Nicht wenige von ihnen erwecken den Eindruck, als hätten sie sich für diesen Anlass ihre Sonntagskleidung angelegt. Die Bundestagsabgeordnete Kornelia Möller (LINKE) hat die Gäste, die allesamt in bayerischen Flüchtlingslagern untergebracht sind, nach Berlin eingeladen, um ihnen die Gelegenheit zu geben, ihre Situation darzustellen.

»Es heißt: Die integrieren sich nicht, die wollen nicht arbeiten«, sagt Ibrahim Sünbül, der einen charmanten bayerischen Akzent pflegt. Dabei wisse kaum einer, dass Asylbewerbern die Aufnahme einer Arbeit untersagt ist. Viele seien, abgeschnitten vom Nahverkehr und mittellos, dazu verurteilt, Tag für Tag zusammengepfercht auf engstem Raum zu verbringen.

Die Flüchtlinge waren an diesem Morgen auch beim Innenministerium als Besuchergruppe angemeldet, doch dort hat man ihnen kurzfristig abgesagt. Zur Begründung hieß es, es sei »zu wenig Personal da«. Andere angemeldete Besucher konnten, wie es scheint, problemlos empfangen werden.

In Bayern fristen 83 Prozent der Flüchtlinge ihr Leben in Lagern: 4500 Menschen in 115 Lagern. Kontakte zu Einheimischen sind nur unter widrigsten Bedingungen herzustellen. Marc Speer vom bayerischen Flüchtlingsrat legt Wert auf die Feststellung, dass es sich um »Lager« handelt. »Von Sammel- oder Gemeinschaftsunterkünften ist da immer euphemistisch die Rede, aber es sind Lager.« Hört man den Eingeladenen zu, kann man das Ausmaß ihres Elends nur erahnen. Bahman Abdollah Amouz, der seit acht Jahren hier lebt und früher 11 Jahre im iranischen Innenministerium gearbeitet hat, beklagt, dass seine Kinder keinen Kindergarten und keine Schule besuchen dürfen.

In der bayerischen »Asyldurchführungsverordnung«, die tatsächlich so heißt und allein schon wie eine Drohung klingt, ist zu lesen: »Die Unterbringung von Flüchtlingen in Sammelunterkünften soll die Bereitschaft zur Heimkehr fördern.« Sieht man einmal davon ab, dass bei manchem die »Bereitschaft zur Heimkehr« nicht besonders ausgeprägt ist, weil ihn »zuhause« der sichere Tod erwartet, zeigt sich in einem solchen Satz auch eine eigenwillige Interpretation des Rechts auf Asyl: Es ist nicht erwünscht, dass Menschen in Not herkommen. Mir san mir.

Abay Kikos Berhe aus Äthiopien sagt: »Die Sprache ist der Schlüssel, um etwas machen zu können. Aber viele in unserem Heim kennen nur wenige Worte, ›alles klar‹ und ›egal‹. Man spricht viel von der Integration von Flüchtlingen, aber man unternimmt nichts dafür. Dabei sind sie ein Reichtum für dieses Land.«

 

Quelle: Neues Deutschland

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