Welt Online, 19.02.2013

Afghanische Flüchtlinge im Räderwerk von Behörden

Afghanistans Zukunft ist ungewiss. Die Regierung gilt als korrupt, der geplante Abzug der Nato bedeutet mutmaßlich eine Stärkung der Taliban. Für afghanische Flüchtlinge verheißt das nichts Gutes


Matin Ameri ist 25 Jahre alt, Bauer, ledig. Das sind keine guten Voraussetzungen: Der Asylbewerber aus Parwan im Norden Afghanistans fürchtet die Abschiebung. Er hat eine zweieinhalbjährige Odyssee hinter sich: durch den Iran, die Türkei, Griechenland, Italien, Deutschland, Schweden, Finnland – und jetzt wieder Deutschland. Überall ist er unerwünscht. In mehreren Ländern wurde er ab- beziehungsweise weitergeschoben. Nach Afghanistan will er auf keinen Fall zurück. "Es gab täglich Tote", sagt Ameri. Nun wollen er und andere afghanische Asylbewerber mit einer Landtagspetition einen Abschiebestopp erreichen.

Er ist Turkmene, eine von vielen Minderheiten in Afghanistan. Seit Ende der 1970er Jahre folgt ein Krieg am Hindukusch dem nächsten, und ethnische Rivalitäten spielen dabei eine große Rolle. Die kleineren Volksgruppen haben darunter besonders zu leiden – allein schon, weil sie rein zahlenmäßig schwächer sind. "Afghanistan ist einer der gefährlichsten Orte der Welt", sagt der 26 Jahre alte Jamal Nasir, der Hauptorganisator der Petition.

Afghanistan im Asylverfahren nicht Kriegsgebiet

Doch weil Ameri und Nasir jung sind und ledig, könnte ihnen die Abschiebung drohen. Eigentlich gilt in Deutschland der Grundsatz, dass keine Flüchtlinge in Kriegsgebiete abgeschoben werden sollen. In Afghanistan sterben zwar jedes Jahr tausende Menschen bei kriegerischen Auseinandersetzungen, aber das Land zählt im deutschen Asylverfahren offensichtlich nicht als Kriegsgebiet. Seit 2004 können afghanische Flüchtlinge abgeschoben werden – mit Einschränkungen.

Zwangsweise in die Heimat befördert werden können Straftäter, sogenannte Gefährder – aber auch eben junge, ledige Männer, die sich nichts zuschulden kommen lassen. "Bei Afghanen wird gesagt, dass die Intensität der Gewalt nicht ausreichend ist", sagt Tobias Klaus vom Bayerischen Flüchtlingsrat – nicht ausreichend für einen Abschiebestopp.

Nur sehr wenige afghanische Flüchtlinge wurden in den vergangenen Jahren tatsächlich abgeschoben. Doch sehr viele leben in Ungewissheit, da ihre Asylanträge abgelehnt wurden und sie in Deutschland nur geduldet sind. Derzeit lebten 414 geduldete Afghanen in Bayern, von denen 250 junge und ledige Männer seien, sagt Klaus. Die afghanischen Flüchtlinge räumen selbst offen ein, dass viele aus Furcht vor der Abschiebung die Klärung ihrer Identität verweigern.

Rückkehrer in Afghanistan bedroht

Denn nur wer im Besitz gültiger Papiere ist, wird in ein Flugzeug nach Afghanistan gesetzt. Ein Asylbewerber, der seine wahre Identität geheim hält, geht aber auf der anderen Seite ein hohes Risiko ein – wer nicht kooperiert, kann laut Flüchtlingsrat nicht mit einem erfolgreichen Asylverfahren rechnen, er kann auch keine Stelle annehmen oder Deutschkurse besuchen.

Doch für hunderttausende heimgekehrte Flüchtlinge in Afghanistan ist die Lage trostlos, wie die Vereinten Nationen mehrfach berichtet haben. "Viele Rückkehrer werden von den Taliban bedroht, weil sie als Spione des Westens verdächtigt werden", sagte Klaus. Abgeschobene Flüchtlinge würden in Afghanistan zudem häufig Opfer gewöhnlicher Krimineller, die bei den Rückkehrern aus dem Westen Reichtümer vermuteten.

Die Sicherheitslage in Afghanistan hat sich nach mehreren Berichten der Vereinten Nationen seit Jahren nicht wesentlich verbessert. Auch die Zahl der zivilen Todesopfer nahm über Jahre zu. 2012 gab es nach Angaben der UN-Mission in Afghanistan (Unama) erstmals seit 2007 einen Rückgang – auf 2754 Tote und 7559 Verletzte. Unama-Chef Jan Kubis nannte das am Dienstag in Kabul "sehr willkommen" – und bezeichnete gleichzeitig die nach wie vor hohe Zahl ziviler Todesopfer als "unakzeptabel". Wie sich der Konflikt nach dem Abzug der westlichen Truppen entwickeln wird, steht in den Sternen. Viele internationale Beobachter rechnen aber mit einem Erstarken der Taliban. "Für mich gab es keinen Ausweg, als Afghanistan zu verlassen", sagt Ameri.

Carsten Hoefer, dpa

Quelle: Welt Online

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