Süddeutsche Zeitung, 26.03.2012

Abflug ins Ungewisse

Nur von Frankfurt aus werden mehr Menschen ausgewiesen als über den Flughafen der Landeshauptstadt

 

Wenn ihre Maschine abhebt, blicken sie ein letztes Mal auf das Land hinab, in dem sie so gerne bleiben würden: 839 Menschen wurden im vergangenen Jahr über den Münchner Flughafen aus Deutschland abgeschoben, darunter abgelehnte Asylsuchende, straffällig gewordene Ausländer und politische Flüchtlinge. Mehr Abschiebungen gab es nur über den Flughafen Frankfurt am Main, im vergangenen Jahr insgesamt 3056. Organisationen wie der Bayerische Flüchtlingsrat und Pro Asyl sprechen deshalb vom „Abschiebedrehkreuz" München.
Die Reisenden auf dem Flughafen bemerken von den Abgeschobenen meist nichts, da diese über einen gesonderten Bereich kommen. „Sie werden nicht durch die üblichen Sicherheitsschleusen geführt", sagt Asyl-Anwältin Gisela Seidler aus München. Die Pressestelle der Bundespolizei bestätigt: Abschüblin-ge würden etwa zwei Stunden vor dem Abflug von der Landespolizei Bundespolizisten in einem „der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Bereich" übergeben und dort kontrolliert.
Danach kämen sie in einen bewachten Warteraum, schildert Pressesprecher Thomas Borowik das Prozedere. Ein 21-jähriger Afghane hat dem Bayerischem Flüchtlingsrat von einer dunklen Zelle mit Kellerfenster berichtet. Er hatte zudem erzählt, dass er mit einem Einsatzfahrzeug von der Dienststelle direkt zum Flugzeug gebracht worden sei. Die Bundespolizei bestätigt nur Letzteres.
Meist sitzen die übrigen Passagiere bereits in der Maschine, ehe die sogenannten Abschüblinge das Flugzeug betreten. Im Zeitalter des elektronischen Tickets werde auf ein Check-in-Verfahren im Terminal verzichtet, erklärt Borowik. Der Flüchtlingsrat rät den Flüchtlingen, die er betreut, dazu, im Flugzeug möglichst heftig gegen die Abschiebung zu protestieren. Denn seit dem Fall des Sudanesen Amir Ageeb im Jahr 1999 sind die Piloten vorsichtig geworden -und nehmen ungern Passagier gegen deren ausdrücklichen Willen mit. Ageeb war während eines Abschiebeflugs erstickt. Bundesgrenzschutzbeamte hatten den Sudanese geknebelt und niedergedrückt, nachdem er Widerstand geleistet haben soll.
Die Pilotenvereinigung Cockpit hatte daraufhin allen Flugkapitänen empfohlen, Abschüblinge nur an Bord zu lassen, wenn diese keinen Widerstand leisten und nicht gefesselt sind. Seither weigerten sich Piloten wiederholt, Abschüblinge mitzunehmen, hatten diese sich aus Protest zum Beispiel selbst verletzt.
Rechtsanwältin Seidler berichtet von einem Kongolesen, der fünfmal im Abschiebe-Flugzeug gesessen habe. Der Mann habe geschrien und sich im Flugzeug fallengelassen. Mittlerweile besitzt der Mann ein unbefristetes Aufenthaltsrecht. Seidler erzählt noch von einem anderen Fall: „Neulich hat ein Iraner seinen Kopf auf der Fahrt zum Flugzeug gegen die Autokarosserie geschlagen, so dass er angesichts seiner Verletzungen flugunfähig war."

Der Flüchtlingsrat hält viele der Abschiebungen für unrechtsmäßig und protestiert deshalb regelmäßig an den Terminals in München. Zudem wirft der Flüchtlingsrat den Fluggesellschaften vor, am „Abschiebegeschäft" zu verdienen. Diese Kritik ist dem Pressesprecher der Deutschen Lufthansa nicht neu. „Dass das Netzwerk, das wir anbieten, den Bundesbehörden Abschiebungen leicht macht, dessen sind wir uns bewusst", erklärt Thomas Jachnow. Er verweist auf die Beförderungspflicht laut Personenbeförderungsgesetz, wonach „wir gezwungen sind, wenn ein Ticket bezahlt ist und keine besonderen Umstände vorliegen, die Person auch zu fliegen". Aus moralischen Gründen würde die Lufthansa gerne darauf verzichten, von Profit könne keine Rede sein, sagt er.

Rechtsanwältin Seidler hingegen meint, Airlines wie die Lufthansa und ihre Partner würden sich hinter der Beförderungspflicht verstecken. „Wenn jemand ein Ticket für eine dritte Person kauft, dann ist die Lufthansa doch nicht gezwungen, diese Person gegen deren Willen zu transportieren", sagt sie. Die Juristin und der Bayerische Flüchtlingsrat werden deshalb auch künftig gegen die Abschiebungen protestieren.

Am kommenden Freitag rechnen sie mit 400 Teilnehmern, die gegen das sogenannte Dublin-II-Verfahren protestieren. Nach dieser Richtlinie der Europäischen Union werden Flüchtlinge in das EU-Land abgeschoben, in dem sie zum ersten Mal Boden der Union betreten haben. Dort dürfen sie einen Asylantrag stellen - oder werden weiter abgeschoben.

Von Patrick Mayer

Zurück