29.10.2003

Türkische Polizisten wegen Folter an deutschem Staatsbürger angeklagt

Am Freitag, den 31. 10, wird die Verhandlung gegen den vormaligen Leiter des “Terrorismusbekämpfungsbüros” in Izmir, Muhtesem Cavisoglu, sowie drei weitere Polizeibeamte wegen des Verdachts der Folterung des 44-jährigen deutschen Staatsangehörigen Mehmet Desde aus Landshut fortgesetzt. Der Fall des Herrn Desde verdeutlicht, wie schwierig es nach wie vor ist, potenzielle Folterer in der Türkei vor Gericht zu bringen.

Zur Vorgeschichte: Herr Desde, der seit 24 Jahren in Deutschland lebt und arbeitet, reiste im Sommer 2002 in die Türkei, um seinen verstorbenen Vater beizusetzen. Am 9. Juli 2002 wurde er von der Polizei festgenommen und unter dem Vorwurf, er sei ein verantwortliches Mitglied der Organisation “Bolschewistische Partei – Nordkurdistan/Türkei”, der “Anti-Terror-Polizei” in Izmir zugeführt. Die weiteren Ereignisse beschreibt Mehmet Desde wie folgt:

“... Ich wurde in einem schlecht belüfteten Raum starkem Licht ausgesetzt. Man ließ mich hungern und nicht schlafen. Mir wurden immer wieder die Augen gebunden und ich wurde zum Verhör geführt. Dort wurde ich geschlagen und mit Hieben auf die Brust, den Rücken und auf den Kopf traktiert. Dort wurde ich auf tausenderlei Art und Weise beschimpft und beleidigt. Ich wurde splitternackt entkleidet und mir wurden die Hoden gequetscht. Ich wurde nackt gezwungen mich zu bücken, wobei sie versuchten mich zu vergewaltigen. Hier in dem Büro gäbe es keine Menschenrechte sagten sie, und wie lange ich die Folter wohl aushalten würde, fragten sie. Sie drohten mir damit, mich verschwinden zu lassen. Nach vier Tagen Folter war ich gesundheitlich stark angeschlagen.”

Dass es überhaupt zu einer Verfahrenseröffnung gekommen ist, ist schon ein Erfolg: Die Staatsanwaltschaft sowie die Strafkammer in Izmir hatten nämlich die Durchführung eines Strafverfahrens unter Verweis auf amtsärztliche Untersuchungen, wonach angeblich keine Spuren von Gewaltanwendung auszumachen seien, erst einmal abgelehnt. Erst als das deutsche Generalkonsulat eine Untersuchung des Herrn Desde durch ein unparteiisches Institut empfahl, um den Foltervorwürfen nachzugehen, reagierten die türkischen Behörden: Mit Datum vom 31.10.2002 eröffnete die Generalstaatsanwaltschaft Izmir ein neues Ermittlungsverfahren und veranlasste eine Einweisung des Herrn Desde in das Universiätsklinikum Ägäis. Dieses stellte in seinem Befundbericht vom 11.03.2003 fest, dass Anzeichen einer physischen Gewaltanwendung angesichts der verstrichenen Zeit nicht mehr feststellbar seien. Allerdings könnten die in der psychiatrischen Untersuchung festgestellten Befunde (“Major Depressive Syndrome” und “Post-Traumatic Stress Syndrome”) mit Folter zusammenhängen. In einer ergänzenden Untersuchung kommt die Ärztekammer Izmir in ihrem Bericht vom 21.7.2003 zu dem Schluss:

“Die Vorgeschichte, die Herr Mehmet Desde hier in Bezug auf die Praktiken, die er während der Haft erlebt und erlitten hat, erzählt hat; die Anamnese über seine physischen und psychischen Beschwerden nach der Untersuchungshaft; die Befunde und Resultate der psychiatrischen, internistischen sowie allgemeinchirurgischen Konsultationen, die dieser Anamnese entsprechen, die orthopädischen und neurologischen Konsultationen sowie sonstigen radiologischen Auswertungen sind völlig im Einklang miteinander sowie mit der Darstellung der während der Haft erlittenen Folter. Alles zusammengenommen, sind wir der Überzeugung, dass die besagte Person während seiner Haft von Menschenhand geschaffenen physischen und psychischen Traumen ausgesetzt wurde.”

Das Auswärtigen Amt teilte dem Bruder von Mehmet Desde am 18.9.2003 mit, dass die deutsche Botschaft in Ankara gebeten werde, “auf der Grundlage des Berichts der Ärztekammer Izmir bei den türkischen Behörden gegen die Folter zu protestieren und um rasche Aufklärung der Ereignisse während der Polizeihaft zu bitten.” Der Bayerische Flüchtlingsrat begrüßt den konsequenten Einsatz der deutschen Botschaft zur Aufklärung des Falls und fordert das Auswärtige Amt auf, alles zu tun, um Herrn Desde möglichst bald eine Rückkehr nach Deutschland zu ermöglichen.

Gegenwärtig ist die Berufung gegen die Entscheidung des Staatssicherheitsgerichts Izmir noch anhängig, das ihn und vier weitere Angeklagte in einem beispiellosen Akt von Gesinnungsjustiz am 24.7.2003 wegen “Gründung einer illegalen Organisation” zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von 4 Jahren und 2 Monaten sowie einer Geldstrafe verurteilt hat. Die “Bolschewistische Partei”, deren Mitglied Mehmet Desde sein soll, wurde in der Anklageschrift als “unbewaffnete terroristische Vereinigung” qualifiziert. Nach Aussagen der Generalintendantur ist die Organisation 1981 gegründet worden und seither mit 7 Wurfzettel- und Flugblattaktionen in Erscheinung getreten.
Seit dem 21. Januar 2003 ist Mehmet Desde wieder auf freiem Fuß. Allerdings wurde ihm ein Ausreiseverbot auferlegt. Aufgrund seiner Anzeige gegen die vier Polizisten werden Verwandte von Herrn Desde ständig von der Polizei belästigt, und auch er selbst fürchtet um seine Sicherheit. Die Therapiekosten werden zwar von einer Stiftung übernommen, alle weiteren Kosten muss er jedoch selber tragen. Inzwischen ist er mittellos und musste Sozialhilfe beantragen.

Nachdem am ersten Verhandlungstag keiner der wegen Folter Angeklagten Polizisten vor Gericht erschienen ist, wird am kommenden Freitag der Prozess fortgesetzt. Zum ersten Prozesstermin, dem 2. Oktober 03, ist keiner der vier Angeklagten erschienen. Nun hat die Kammer beschlossen, „mit Dringlichkeit die Staatsanwaltschaft zu ersuchen, dass die Angeklagten vor Gericht erscheinen und die Aussage des inzwischen stellvertretenden Polizeichefs von Aydin, Muhtesem Cavusoglu, im Rahmen der Amtshilfe vom Landgericht Aydin anzufordern“ (zit.n. Schreiben M.Desde vom 3.10.03). Der Fall des Mehmet Desde macht noch einmal deutlich, dass die Türkei leider noch weit davon entfernt ist, menschenrechtliche Mindeststandards zu erfüllen.

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