25.10.2017
Sammelabschiebungen nach Afghanistan sind verantwortungslos
14 Flüchtlinge nach Afghanistan abgeschoben, 5 davon aus Bayern / Flüchtlingsrat: Bayern definiert Straftäter und „hartnäckige Identitätsverweigerer“ besonders rigide
Gestern Abend startete ein weiterer Sammelabschiebeflug nach Afghanistan. An Bord waren insgesamt 14 abgelehnte afghanische Flüchtlinge, fünf davon kamen aus Bayern. Was mit diesen 14 Personen geschieht, ist ungewiss. Sicher ist jedoch, dass sie in ein Bürgerkriegsland geflogen wurden, in dem ihr Leben in Gefahr ist. In allen Landesteilen kommt es zu Anschlägen, allein letzte Woche kamen bei einer Anschlagserie der Taliban und des IS mehr als 250 Menschen ums Leben. Das Bundesverkehrsministerium schrieb sogar alle deutschen Fluggesellschaften an und warnte vor einer Landung auf dem Kabuler Flughafen, da dort Raketenbeschuss drohe. Der Abschiebeflug wurde konsequenterweise mit einer tschechischen Chartermaschine durchgeführt.
In einer Pressemitteilung von heute Vormittag erklärt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, es seien aus Bayern nur „hartnäckige Identitätsverweigerer“ sowie Straftäter, „die nicht bereit sind, die deutsche Rechtsordnung anzuerkennen“, abgeschoben worden. Wie schnell man in eine der beiden Kategorien fallen kann, erklärte Herrmann im Juli 2017 auf eine Anfrage der Grünen im Bayerischen Landtag. Danach gilt schon als Straftäter, wer zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen verurteilt wurde – dafür reicht schon Schwarzfahren oder Ladendiebstahl. Als hartnäckiger Identitätsverweigerer gilt bereits, wer nur einmal „gegen seine Mitwirkungsverpflichtung an seiner Identitätsklärung verstoßen hat“.
Im Weiteren warf Herrmann Pro Asyl und dem Bayerischen Flüchtlingsrat vor, mit substanzlosen Aussagen Verunsicherung und Verwirrung in der afghanischen Community zu stiften. Der Bayerische Flüchtlingsrat weist diese Anschuldigungen scharf zurück.
„Innenminister Herrmann erweckt den Eindruck, nur Schwerkriminelle abzuschieben und Flüchtlinge, die hartnäckig jegliche Mitwirkung bei der Identitätsklärung verweigern. Dabei reichen schon geringste Bagatelldelikte oder ein einziger verweigerter Botschaftsbesuch, um im nächsten Abschiebeflieger zu sitzen“, kritisiert Alexander Thal, Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrats. „Diesen populistischen Täuschungsversuch öffentlich zu machen, ist unsere Pflicht als Menschenrechtsorganisation und leider nicht substanzlos! Bayern schiebt rigoros ab und lässt jegliches Augenmaß und jegliche Humanität missen: Einer der Abgeschobenen steht kurz vor der Hochzeit, ein anderer ist psychisch krank, ein psychiatrisches Attest bescheinigt ihm eine schwere Suizidgefahr. Wir fordern ein sofortiges Ende dieser rücksichtslosen Abschiebungen nach Afghanistan!“
Zu den Einzelfällen:
Abschiebung statt Heirat
Mit der gestrigen Abschiebung wurde ein deutsch-afghanisches Paar, das seit zwei Jahren glücklich in München lebt, auseinandergerissen: Farhad, ein junger Afghane, der sich vor Jahren ein paar Bagatellstrafen geleistet hat, wird abgeschoben. Seine Verlobte Sarah, Hotelfachfrau in München, bleibt da. Verschiedenste Eingaben und Bittbriefe haben daran nichts geändert. Alle beteiligten Personen und Behörden wissen, dass die beiden nun auseinandergerissen werden und, wenn überhaupt, erst nach Jahren und mit immensen Kosten wieder zusammenfinden werden. Doch niemand hat der Ausländerbehörde Einhalt geboten, die sagt: das öffentliche Interesse an der Abschiebung ist höher zu bewerten als eine Eheschließung und eine glückliche Beziehung. Das ist christ-sozialer Familiensinn.
Das Paar ist seit zwei Jahren zusammen, und seit März unternahmen beide alle Anstrengungen, die notwendigen Papiere aus Afghanistan zu beschaffen, für beglaubigte Übersetzungen zu sorgen, eine Geburtsurkunde, einen Pass zu bekommen. Dann wurde Farhad in Abschiebehaft genommen. Seine Freundin legte die vollzähligen Papiere dem Standesamt vor, dieses fand die Papiere in Ordnung, und schickte sie zur Genehmigung ans Oberlandesgericht (OLG). Das OLG hätte bereits da sein OK geben können. Doch ein eifriger Beamter fand, man müsse erst noch mal alles prüfen. Mit der letztlich fadenscheinigen Begründung, die Geburtsurkunde könne ja gefälscht sein und müsse erst noch ans Landeskriminalamt geschickt werden, ließ dieser Beamte alle Hoffnungen zerplatzen, eine Hochzeit könne vor der Abschiebung stattfinden. Der gültige Reisepass Farhads hatte vorgelegen, das hätte auch reichen können.
Sarah muss nun ins gefährliche Kabul fliegen, um ihren Verlobten zu sehen. Sie wird weit mehr als 10.000 Euro zusammenkratzen müssen, um die Abschiebekosten zu bezahlen, damit Farhad irgendwann wieder einreisen darf.
„Joachim Herrmann ist das öffentliche Interesse an der Abschiebung eines Bagatellstraftäters wichtiger, als die sonst in der CSU so hochgehaltenen Werte von Ehe und Familie“, kritisiert Stephan Dünnwald den bayerischen Innenminister. „Er kann stolz darauf sein, eine intakte Beziehung von zwei jungen Leuten zerstört zu haben, um damit vielleicht ein paar Popularitätspunkte für die Schließung der „rechten Flanke“ zu gewinnen. Schließlich sind in Bayern bald wieder Wahlen!“
Der zweite psychisch kranke Afghane aus Bayern abgeschoben
Bereits zum zweiten Mal wurde ein psychisch Kranker abgeschoben. Gestern war ein Afghane aus Landshut mit an Bord, auch er psychisch krank, ein psychiatrisches Gutachten bescheinigt im schwere Suizidgefahr. Seit über vier Jahren lebt er in einer Beziehung mit einer Frau mit deutschem Pass. Auch durch diese Abschiebung wird eine intakte Beziehung zwischen zwei Menschen zerstört. Auch in diesem Fall ist völlig ungewiss, wie und ob der junge Mann in Afghanistan überleben soll und kann.
Er erleidet ein ähnliches Schicksal wie Shams Ahmadi aus Passau. Im Januar 2017 wurde Shams Ahmadi rüde verhaftet und zum Abschiebeflug nach Kabul gebracht, nachdem er mehrere Monate in der Psychiatrie stabilisiert worden war. Das Bundesverfassungsgericht fragte bei der Ausländerbehörde an, ob der Mann auch medizinisch versorgt sei. Die Ausländerbehörde behauptete, er bekomme seine drei Medikamente mit auf den Weg und auch die Adresse einer Klinik in Kabul.
Ahmadi kam ohne Medikamente in Kabul an, die Klinik erwies sich als Therapiezentrum mit Gesprächskreis, aber ohne substantielle Behandlung. Die von Ahmadi benötigten Medikamente waren in Kabul nicht zu bekommen. Er verlor die Orientierung irrte tagelang durch Kabul, wurde schließlich von einem Auto überfahren und landete schwerverletzt in einer Klinik, wo er wieder Kontakt zu Unterstützer*innen in Passau aufnehmen konnte. Seit der Abschiebung hängt Shams Ahmadi am Tropf der Unterstützer*innen, sie schicken Geld, Medikamente und bezahlen ein Zimmer.