15.08.2018
Sammelabschiebung nach Afghanistan: Unter den Betroffenen waren mehrere schwer kranke Personen
Eine Person wurde vier Tage nach Bauchoperation abgeschoben
Bei der gestrigen Sammelabschiebung nach Afghanistan wurden 46 Personen von München aus nach Kabul abgeschoben. Der Flieger hob um kurz vor Mitternacht ab und 25 der 46 Personen kamen aus Bayern. In seiner heutigen Pressemitteilung betonte das Bayerische Innenministerium, dass nach rechtskräftiger Ablehnung regelmäßig auch keine individuellen Gründe vorlägen, die einer Abschiebung entgegenstehen. Weiter sagt Innenminister Herrmann: „Zum Rechtsstaat gehört auch, dass die Umstände des Einzelfalls nicht aus dem Blick geraten dürfen.“
Dass dies lediglich ein heuchlerisches Lippenbekenntnis bleibt und individuelle Gründe sehr wohl vorhanden waren ohne dass sie Geltung fanden, zeigt sich in einem besonders drastischen Fall. Ein junger Mann aus Niederbayern mit schwerer Depression und posttraumatischer Belastungsstörung wurde gestern mit dem Sammelabschiebeflieger nach Kabul abgeschoben. Neben seinen schwerwiegenden psychischen Erkrankungen kommt hinzu, dass bei ihm erst vergangenen Samstag eine Operation am Bauch vorgenommen werden musste. Entsprechend ist auch noch Nahtmaterial in der Wunde vorhanden, das auf Empfehlung der behandelnden Klinik nach zehn Tagen nach der Operation entfernt werden solle. Trotz alledem wurde er als reisefähig erklärt und befindet sich nun mit den 45 anderen Personen in Kabul. Hier solle er sich laut Verwaltungsgericht nun selbst um die Wundversorgung kümmern.
Aus Brandenburg wurden zudem zwei Fälle von Personen bekannt, die suizidal sind (siehe Pressemitteilung vom Flüchtlingsrat Brandenburg vom 15.8.2018). Der Afghanistanexperte Thomas Ruttig meint hierzu: „Abgesehen davon, dass angesichts der Gesamtsicherheitslage in Afghanistan keine auch nur über einen hinreichenden Zeitraum sichere Gebiete auszumachen sind, gehen die abschiebenden deutschen Behörden ein hohes Risiko ein, traumatisierte oder gar selbstmordgefährdete Menschen ohne soziale Kontakte nach Kabul abzuschieben, wo sie nur rudimentäre Unterstützung erhalten. Sie schieben die Verantwortung den afghanischen Behörden zu, die angesichts hunderttausender Rückkehrer aus Nachbarländern und einer erheblich verschlechterten sozialökonomischen Situation nicht in der Lage sind, sich nachhaltig um sie zu kümmern, oder sie gar adäquat medizinisch zu versorgen oder zu reintegrieren."
„Es ist absolut zynisch, wenn Innenminister Herrmann sagt, dass die Umstände des Einzelfalls nicht aus dem Blick geraten dürfen und dennoch eine gerade erst operierte Person abgeschoben wird, die zudem noch unter PTBS und schwerer Depression leidet“, sagt Agnes Andrae vom Bayerischen Flüchtlingsrat. „In Verbindung mit den Fällen der beiden suizidalen Personen aus Brandenburg wird deutlich, dass Menschenleben und Einzelschicksale weder die Behörden noch die Bundes- und Bayerische Staatsregierung auch nur im Geringsten interessieren. Gerade vor dem Hintergrund, dass sich nach dem letzten Abschiebeflug in Kabul ein Betroffener erhängt hat, macht die Vehemenz, mit der hier Abschiebungen nach Afghanistan trotzdem weiter forciert werden, einfach nur sprachlos.“