19.11.2003

Neues bayerisches Ausreisezentrum in Engelsberg

Regierung von Oberbayern: "Wir nehmen den Leuten die Attraktivität der Ballungsräume"

"In Engelsberg wird ein neues Abschiebelager eingerichtet", warnten res publica, der Bayerische und der Münchner Flüchtlingsrat im Juli 2003. Das Bayerische Innenministerium dementierte. Bei Engelsberg handele es sich lediglich "um eine Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber", sagte der Pressesprecher Michael Ziegler und warf den Menschenrechtsorganisationen unseriöse Pressearbeit vor. Doch seine Aussagen scheinen spätestens nach den vor 4 bis 6 Wochen erfolgten Einweisungen nicht mehr haltbar.

Das Ausreisezentrum Engelsberg

Engelsberg ist eine kleine Gemeinde mit 2800 Einwohnern im Landkreis Traunstein, ca. 100 km bzw. knappe zwei Auto- bzw. Zugstunden von München entfernt, unweit der Grenze zu Österreich, innerhalb des 30 km-Streifens, in dem der Bundesgrenzschutz verdachtunabhängig kontrollieren darf.

Die Sammelunterkunft für AsylbewerberInnen ist in einem ehemaligen Pfarrhof ca. 300 m außerhalb Engelsbergs untergebracht, der über 100 Betten in 33 Zimmern verfügt. 50 der 100 Plätze werden im Rahmen der Verteilung der AsylbewerberInnen auf die Landkreise belegt. Für die übrigen 50 "Ausreisezentrums"-Plätze hat die "Zentrale Rückführungsstelle Südbayern" (ZRS Süd) das alleinige Belegungsrecht. Sie werden für Flüchtlinge vorgehalten, die über den Aufenthaltsstatus einer Duldung verfügen, aufgrund fehlender Papiere nicht abgeschoben werden können und die Mitarbeit an ihrer eigenen Abschiebung verweigern. Das "Ausreisezentrum" Engelsberg richtet sich also an dieselbe Zielgruppe wie das im mittelfränkischen Fürth, mit einem Unterschied: In Engelsberg können auch Jugendliche und Familien mit Kindern eingewiesen werden, "von normalen und gesunden Menschen gibt es derzeit keinen Ausschluss", so der Leiter der ZRS Süd, Wolfgang Bruckmann.

Bruckmann gibt sich zwar sichtlich Mühe, jegliche Nähe zum Konzept der "Ausreisezentren" zu vermeiden, indem er darauf verweist, dass es weder Zaun noch Bewachung durch einen Sicherheitsdienst gebe. Doch macht er unmissverständlich deutlich, welchen Zweck das Ausreisezentrum in Engelsberg erfüllt: "Flüchtlinge, die z.T. seit vielen Jahren in den bayerischen Ballungszentren wie München, Augsburg oder Nürnberg leben und bei der Beschaffung der Heimreisepapiere nicht mitwirken, sollen dafür nicht auch noch belohnt werden".

Schikane Ausreisezentrum

Wolfgang Bruckmann ist nicht in der Lage, Gründe in der Arbeitsorganisation der ZRS Süd zu nennen, die den erzwungenen Umzug der betroffenen Flüchtlinge aus den bayerischen Ballungsräumen in das grenznahe oberbayerische Hinterland rechtfertigen könnten. Weder hat dort die Behörde für die Passpapierbeschaffung ihren Sitz, deren Arbeit durch diesen erzwungenen Umzug erleichtert werden könnte, denn die zuständigen SachbearbeiterInnen der ZRS Süd erledigen ihre Arbeit nach wie vor in den Räumen der Regierung von Oberbayern in München. Noch wird die Arbeit spezieller BefragerInnen durch die zentrale Unterbringung in Engelsberg erleichtert, da solche Befragungen von den Münchner SachbearbeiterInnen durchgeführt werden, die dazu nach Engelsberg fahren müssen. Der einzige Grund, den Bruckmann nennen will, ist der Entzug der "Attraktivität der Ballungszentren", um die betroffenen Flüchtlinge für ihre fehlende Mitarbeit nicht auch noch zu belohnen. Dass dadurch mühsam aufgebaute soziale Kontakte abbrechen, LebenspartnerInnen zurückgelassen, Arbeitsstellen, Kindergarten- und Schulplätze aufgegeben und behandelnde ÄrztInnen und PsychotherapeutInnen gewechselt werden müssen, spielt keine Rolle. Die Einweisung in das "Ausreisezentrum" Engelsberg stellt sich so als eine "Schikane oder strafähnliche Maßnahme" dar, die, folgt man der Rechtssprechung des Verwaltungsgerichts Trier (Urteil vom 19.03.2003, AZ 5 K 1318/02.TR), rechtsstaatlich nicht vertretbar ist.

Dass gerade die Flüchtlinge die Einweisung nach Engelsberg als Schikane auffassen, zeigt die hohe Illegalisierungsquote, die noch weit über der des Fürther "Ausreisezentrums" liegt. Nach Angaben des Leiters der Engelsberger "Gemeinschaftsunterkunft" sind von den 34 Flüchtlingen, die in den letzten 6 Wochen eingewiesen wurden, lediglich 14 in Engelsberg angekommen. Macht eine stolze Illegalisierungsquote von nahezu 60 %.

Ausreisezentrum Engelsberg und seine Einzelschicksale

Die Liste der Herkunftsländer der betroffenen Flüchtlinge umfasst für ihre Menschenrechtsverletzungen weltweit bekannte Staaten wie Algerien, China, Indien, Marokko, Syrien und Iran, in die z.T. keine Abschiebungen möglich sind, da keine Transportwege zur Verfügung stehen. Folgende Einzelfälle konnten wir bisher recherchieren:

Ein Flüchtling aus dem Iran, der unter massiven psychischen Problemen in Folge einer Kriegsgefangenschaft leidet, ist derzeit in München in spezieller therapeutischer Behandlung. Er hat Widerspruch gegen seine Einweisung in das Ausreisezentrum eingelegt, da er ansonsten gezwungen ist, seine Therapie abzubrechen. Sollte seinem Widerspruch nicht stattgegeben werden, droht eine schwere Retraumatisierung, die weder in Engelsberg noch im Landkreis Traunstein behandelt werden kann.
Zwei jugendliche Flüchtlinge aus Serbien und Montenegro mussten ihre Lehre abbrechen, da sie nach Engelsberg eingewiesen wurden.

Lagerland Bayern

res publica und der Bayerische Flüchtlingsrat werfen dem Bayerischen Innenministerium vor, immer neue Lager für geduldete Flüchtlinge zu schaffen, um deren Ausreise zu erzwingen. Nur einen Unterschied sehen wir zwischen den Lagern in Fürth und Engelsberg: Die offensichtlichen Repressionsmaßnahmen (Zäune, Sicherheitsdienst) wurden abgeschafft, um in einer breiten Öffentlichkeit den bereits negativ besetzten Begriff "Ausreisezentrum" vermeiden zu können. Doch die aus Fürth bekannte Zermürbetaktik bleibt dieselbe.

"Es macht für die Betroffenen keinen Unterschied, ob sie hinter einem Gitterzaun oder durch die ‚Umverteilung' in das grenznahe, strukturschwache Hinterland isoliert werden. Sowohl das Fürther als auch das Engelsberger ‚Ausreisezentrum' setzen die eingewiesenen Flüchtlinge unter massiven psychischen Druck, Deutschland zu verlassen", so Alexander Thal von res publica.

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