04.12.2003

Menschenrechtsverletzung im Abschiebelager Fürth

Der Flüchtling Viktor Gusselnikov wird trotz einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung nicht aus dem "Ausreisezentrum" Fürth entlassen / Regierung von Mittelfranken verletzt das Menschenrecht auf ein "Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit"

Viktor Gusselnikov leidet unter einer psychischen Erkrankung, die bereits drei mal stationär behandelt werden musste. Am 27.08.2003 wurde er nach einer zweimonatigen, stationären, psychiatrischen Behandlung aus dem Bezirksklinikum Obermain in Kutzenberg entlassen und noch am selben Tag unter dem Vorwurf der "Identitätsverschleierung" ins Abschiebelager Fürth eingewiesen (s. PM "Behördenwille wichtiger als menschliche Gesundheit?" vom 25.08.2003).

Hr. Gusselnikov flüchtete als Angehöriger der russischen Minderheit in Estland 1992 nach Deutschland. Er war im Besitz eines sowjetischen Passes, der nach kurzer Zeit jedoch seine Gültigkeit verlor. Weder Russland noch Estland stellten ihm einen neuen Pass aus, da Hr. Gusselnikov aufgrund seiner Flucht nicht in der Lage war, die Kriterien eines der beiden UdSSR-Nachfolgestaaten für die Ausstellung eines neuen Passes zu erfüllen.

Wenige Tage nach der Einweisung Hr. Gusselnikovs in das Fürther Abschiebelager diagnostizierte eine neu hinzugezogene Nürnberger Fachärztin für Psychiatrie/Psychotherapie am 03.09.2003 eine "paranoide Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis" die mit massiven Ängsten, Schlaflosigkeit, starker innerer Unruhe, Platzangst, Herzrasen und Muskelkrämpfen einherging. Dieses Attest erweiterte sie am 24.10.2003 um den Zusatz, "die körperliche und psychische Versorgung ist im Ausreiselager nicht ausreichend gesichert, sodass es zwingend erforderlich ist für Herrn Gusselnikov aus dem Lager herauszukommen". Doch der Leiter des Abschiebelagers, Peter Meißner von der Regierung von Mittelfranken (Tel: 0911/9693-200) bestand auf der Einweisung und riskierte damit die bereits im März 2003 vom Bezirksklinikum Obermain prognostizierte Verschlechterung des gesundheitlichen Zustands von Hr. Gusselnikov im Falle seiner Unterbringung im "Ausreisezentrum" Fürth.

Nun ist das Befürchtete eingetreten, der aktuelle Gesundheitszustand von Hr. Gusselnikov ist mehr als besorgniserregend: Die diagnostizierte Psychose scheint sich zu verschlimmern. Herr G. läuft getrieben von seiner innerer Unruhe stöhnend im Flur des Abschiebelagers auf und ab. Krankheitsbedingt hat er Schwierigkeiten in der Körperwahrnehmung und verwahrlost zusehends, was die anderen Flüchtlinge im Lager abschreckt. Diese daraus entstehenden Spannungen zwischen den Flüchtlingen im Lager hält Hr. Gusselnikov, beeinträchtigt durch ängstliche und paranoide Denkinhalte, kaum aus. Des weiteren kann er wegen ausgeprägter Angstgefühle das Lager, teilweise nicht mal sein dortiges Zimmer verlassen.

Hr. Gusselnikov braucht Unterstützung bei der körperlichen und psychischen Versorgung und eine Umgebung, die ihm Sicherheit gibt, wenn er eine Chance auf Genesung haben soll. Dies ist im "Ausreisezentrum" nicht gewährleistet. Auch die zweimonatigen Besuche bei seiner Nürnberger Psychiaterin, die ihm die notwendigen Medikamente verschreibt, reichen in dieser akuten Krankheitsphase nicht aus - in diesen Phasen haben Patienten keinen Überblick mehr, wann und wie Medikamente eingenommen werden müssen. Dabei sind die Medikamente für Hr. Gusselnikov lebenswichtig, da er bereits mehrmals mit akuter Selbstmordgefahr in das Bezirksklinikum Obermain eingewiesen werden musste. Deshalb scheint ein stationärer Klinikaufenthalt erneut unvermeidbar zu sein.

res publica und der Bayerische Flüchtlingsrat sehen im Verhalten der Regierung von Mittelfranken eine eindeutige Verletzung des Menschenrechts "eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit" vor, das die BRD mit dem "Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte" (Artikel 12, Absatz 1) ratifiziert hat. Die Regierung von Mittelfranken widersetzt sich der Entlassung Hr. Gusselnikovs aus dem Abschiebelager Fürth und verhindert damit die notwendige körperliche und psychische Versorgung in einer stationären Einrichtung, die er zu seiner Gesundung braucht. Alexander Thal von res publica: "Einen psychisch schwer erkrankten Menschen unter psychischen Druck zu setzen ist lebensgefährlich. Solches Vorgehen führte im 1999 wieder geschlossenen Abschiebelager Nordrhein-Westfalen bereits zum Selbstmord eines Insassen. Ich hoffe, die Regierung von Mittelfranken legt es nicht auf ein weiteres Opfer an."

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