28.05.2015

Leonardo-Prozess: Freisprüche sind unerträglich

Alle Angeklagten wurden freigesprochen / Eltern von Leonardo gehen in Revision / Flüchtlingsrat fordert Änderungen bei medizinischer Versorgung von Flüchtlingen


Am gestrigen Mittwoch, den 27.5.2015, wurden die beiden angeklagten Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes in der Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) Zirndorf und der ebenfalls angeklagte Bereitschaftsarzt vom Landgericht Nürnberg-Fürth freigesprochen. Wer welchen Beitrag dazu geleistet hat, dass der damals eineinhalbjährige Leonardo fast gestorben wäre, lasse sich nicht mehr klären, da sich die Zeugenaussagen nach so langer Zeit widersprächen, so der Richter. Deshalb gelte für alle der Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“.

Wir sind über dieses Urteil entsetzt“, erklärt Alexander Thal, Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrats. „Da irren junge Eltern mit ihrem sterbenden Kind auf den Armen durch die Erstaufnahmeeinrichtung in Zirndorf und betteln die Mitarbeiter dort an, einen Krankenwagen zu rufen, doch keiner hilft ihnen. An die Details dieser traumatisierenden Situation erinnern sie sich noch gut, nicht jedoch an den exakten chronologischen Ablauf. Deshalb stehen ihre Aussagen zu anderen im Widerspruch. Ihnen das zum Vorwurf zu machen und die Angeklagten freizusprechen, ist unglaublich. Da mag der Richter Recht gesprochen haben, Gerechtigkeit ist aber etwas anderes! Die Eltern von Leonardo legen deshalb Revision gegen das Urteil ein.

Für Leonardos Eltern ist das gestrige Urteil ein schwerer Schlag. Sie haben sich darauf verlassen, dass ihr Leid anerkannt und die Angeklagten zur Verantwortung gezogen werden. Für Leonardos Vater Jovica ist die Unterstellung des Richters, er habe den Vorfall nachträglich dramatisiert, nun ein zusätzlicher Schlag ins Gesicht. Auf die Eltern wirkt das, als würde man ihnen vorwerfen zu lügen.

Dringend notwendig sind jetzt politische Änderungen, bei der EAE in Zirndorf, am Asylbewerberleistungsgesetz und generell bei der medizinischen Versorgung in EAEs:

  • Die chaotischen Zustände in der EAE in Zirndorf traten gestern überdeutlich zutage. Mehrere ZeugInnen waren geladen, die laut Belegungslisten der EAE mit Leonardo und seiner Mutter Klaudija im selben Zimmer untergebracht waren. Diese Listen waren jedoch das Papier nicht wert, auf die sie gedruckt waren – keine der Frauen war mit den beiden zusammen in einem Zimmer, eine war schon einen Monat zuvor abgeschoben worden, obwohl sie noch immer in der Belegungsliste geführt wurde. „Dieses System der organisierten Verantwortungslosigkeit – ein verwaltungsmäßiger Saustall – muss aufgeräumt werden“, so Alexander Thal.

  • Die im Asylbewerberleistungsgesetz vorgeschriebene medizinische Mangelversorgung muss umgehend abgeschafft werden, Flüchtlinge müssen in die Krankenversicherung integriert werden. „Es darf nicht weiter hingenommen werden, dass Mitarbeiter von Sozialämtern oder Wachdiensten entscheiden, wer zum Arzt gehen darf und wer nicht. Das ist lebensgefährlich!“, kommentiert Thal.

  • Zudem müssen in allen EAEs medizinische Behandlungszentren aufgebaut werden, damit besonders in den ersten Tagen ein einfacher Zugang zu medizinischer Versorgung sichergestellt ist.

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