26.09.2002

In Kempten geht Abschiebung vor

Der Schutz von Ehe und Familie, der gerade in Bayern sonst hoch gehalten wird, ist nicht immer im Sinne der Behörden. Seit mehr als einem Jahr versuchen Silvia Glas und der Inder Raghbir Singh zu heiraten. Zu diesem Zweck haben sie die notwendigen Heiratsunterlagen beim zuständigen Standesamt der Stadt Kempten eingereicht. Das Ausländeramt der Stadt hegte jedoch Zweifel an der Identität des indischen Verlobten, weil dieser bei seiner Einreise nach Deutschland einen falschen Vornamen angegeben hatte, und gestattete die Eheschließung nicht. Herr Singh wurde wegen illegalen Aufenthalts in Haft genommen, anschließend wurde Abschiebehaft verhängt.

Obwohl mit Hilfe der deutschen Botschaft in Delhi die Identität Herrn Singhs inzwischen festgestellt und selbst sein Vater in Indien ausfindig gemacht worden ist, weigert sich die Stadt beharrlich, die Eheschließung zu gestatten. In dieser Haltung wurde das Ausländeramt der Stadt Kempten, das sich im übrigen in dieser das Standesamt betreffenden Angelegenheit in den Vordergrund gespielt hatte, in dieser Woche durch das örtliche Landgericht bestätigt. Auch das Landgericht sieht die Identität des Verlobten nicht hinreichend geklärt. Der Anwalt Herrn Singhs hat nun Beschwerde eingelegt, das Verfahren geht erneut an das Oberlandesgericht München.

Pikant an diesem Fall ist, dass die Stadt Kempten zugleich ein Verfahren betreibt, um sich in den Besitz des Reisepasses von Herrn Singh zu setzen. Hier ist es an einem Augsburger Richter zu entscheiden, ob der Pass der Ausländerbehörde zugestellt werden muss – zwecks Abschiebung. Denn auch für die Abschiebung ist ein gültiges Ausweispapier notwendig. Die Ausländerbehörde, die massiv die Identität Herrn Singhs anzweifelt, um eine Eheschließung zu verhindern, versucht sich zugleich des Reisepasses des Inders zu bemächtigen, um ihn abschieben zu können. Für die Heirat reicht der Ausweis nicht, zur Abschiebung ist er allemal gut genug.

Dieses Doppelspiel der Kemptener Behörden ist nach den Erfahrungen des Bayerischen Flüchtlingsrats kein Einzelfall. Ehen zwischen Deutschen und Ausländern werden häufig prinzipiell als Scheinehen, betrachtet, wenn der ausländische Ehepartner keinen gesicherten Aufenthalt hat. 1998 forderten Unionspolitiker, generell Ehen zwischen Asylsuchenden und Deutschen zu verbieten. Das bayerische Innenministerium verschickte zu diesem Anlass Merkblätter an die Standesämter, wie sie Indizien einer Scheinehe besser erkennen können.  Ausländerbehörden und Standesämter setzen in enger Zusammenarbeit oft ihren ganzen Ehrgeiz darein, diese Ehen zu verhindern. Zweifel an den beigebrachten Papieren sind eine gern geübte Strategie, Ehen auf lange Zeit zu verzögern, da Auskünfte bei den Behörden im Herkunftsland meist Monate in Anspruch nehmen. In der Zwischenzeit wird dann der ausländische Ehepartner häufig abgeschoben.

Der Fall in Kempten offenbart den unverhohlenen Willen der Behörde, die Eheschließung mit allen Mitteln zu verhindern. Wenn der gleiche Reisepass zwar als tauglich für die Abschiebung, aber nicht als hinreichend für eine Eheschließung erklärt wird, dann treiben die Kemptener Behörden offenkundig ein zynisches Spiel zu Lasten der Verlobten.

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