20.03.2020
Gesundheitsversorgung sicherstellen! Lager auflösen! Menschen und ihre Rechte schützen!
Gemeinsamer Appell von We’ll Come United, die Landesflüchtlingsräte, die bundesweiten Medibüros/Medinetze
Während Bundes- und Landesregierungen in nahezu allen Lebensbereichen strikte Maßnahmen gegen eine weitere Ausbreitung der COVID-19-Epidemie ergreifen, werden Geflüchtete in den Lagern (Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünften, sogenannten Ankerzentren) und in der Abschiebehaft sowie Illegalisierte und Menschen ohne Krankenversiche-rungsschutz nur unzureichend geschützt. Aufgrund der engen Belegung und der meist ge-meinschaftlichen Nutzung von Bädern, Küchen und anderen Flächen sind die in den Sammelunterkünften untergebrachten Menschen besonders gefährdet, sich mit dem Corona-Virus zu infizieren. Gleichzeitig haben sie aufgrund mangelnder Informationen, geringerer finanzieller Mittel und oft fehlender sozialer Netzwerke nur wenig Möglichkeit, sich an die gegenwärtige Situation anzupassen.
We’ll Come United, die Landesflüchtlingsräte, die bundesweiten Medibüros/Medinetze und viele weitere Organisationen und Initiativen appellieren an die Bundes- und Landesregierungen, dem dynamischen Epidemiegeschehen sofort zu begegnen, Gesundheitsversorgung für alle zu garantieren und einen Leerzug der Massenunterkünfte zu veranlassen. Geflüchtete, die den Risikogruppen angehören, müssen unverzüglich einen adäquaten Schutzraum und angemessene Versorgung erhalten – zum Schutz der Einzelnen und zum Schutz aller Menschen in dieser Gesellschaft.
Verminderung sozialer Kontakte, das Einhalten eines Mindestabstands und Sicherung hygienischer Standards sind notwendig, um eine weitere Ausbreitung des neuartigen Corona-Virus zu verhindern. All das ist für Tausende von Menschen derzeit nicht möglich. In einigen Ge-flüchtetenunterkünften kam es bereits zu Erkrankungen und häuslicher Quarantäne von Hunderten von Menschen auf engstem Raum, beispielsweise in Suhl (Thüringen), in Berlin und in München. Zuverlässige Informationen in den benötigten Sprachen fehlen, Menschen harren in Unsicherheit und Angst hinter verschlossenen Türen aus und versorgen schwer erkrankte Zimmernachbar*innen, wie zum Beispiel in München, von wo es außerdem bereits Berichte von Willkür und Gewalt durch Sicherheitspersonal gibt.
Oder die Polizei rückt in einem Großeinsatz an, um eine Quarantäne durchzusetzen, bevor die Bewohner*innen auch nur ansatzweise strukturierte mehrsprachige Informationen erhalten haben, was Quarantäne bedeutet und warum sie verhängt wurde, und löst damit eine große Verunsicherung und Proteste aus, wie in Suhl (Thüringen).
Einem akuten Infektionsgeschehen darf nicht mit Zwangsquarantäne einer gesamten Unter-kunft und ihrer Bewohner*innen und gewaltvoller Durchsetzung der Maßnahmen begegnet werden. Vielmehr sind Informationen und Aufklärung hierbei unumgänglich, um die Men-schen vor sowohl gesundheitlichen als auch psychischen Schäden zu schützen. Wir fordern die dauerhafte Sicherstellung des Zugangs zu Information, mehrsprachigen Materialien, Ver-dolmetschung und Vermittlung von zuverlässigen Informationen. Zugang zum Internet über WLAN muss unverzüglich und flächendeckend für alle Geflüchtetenunterkünfte organisiert werden.
Auch ist Zugang zu psychologischer Beratung notwendig, da die Situation der Quarantäne auch traumatisierend oder retraumatisierend wirken kann.
Wir fordern eine sofortige Auflösung der Massenunterbringung in Gemeinschaftsunterkünften, Erstaufnahmeeinrichtungen und Ankerzentren. Das damit verbundene Infektionsgeschehen ist nicht zu verantworten. Geflüchteten, die Risikogruppen angehören wie Ältere oder Men-schen mit Vorerkrankungen müssen insbesondere geschützt werden. Im gesamten Bundes-gebiet stehen zahlreiche Wohnungen, Ferienapartments und Hotels leer. Diese Räume müs-sen sofort durch die zuständigen Behörden zur dezentralen Unterbringung aktiviert und ge-nutzt werden.
Der eingeschränkte Zugang zu Gesundheitsversorgung in Abhängigkeit vom Aufenthaltstitel und Sozialleistungsanspruch kann in der momentanen Lage über Leben und Tod entscheiden. Wir fordern eine sofortige flächendeckende Öffnung des Gesundheitswesens und einen un-bürokratischen Zugang zur regulären Versorgung für alle Menschen. Auch illegalisierte Men-schen und Personen ohne Krankenversicherung müssen ab sofort getestet und gegebenen-falls behandelt werden. Es muss ausdrücklich zugesichert werden, dass sensible Daten nicht an die Ausländerbehörde übermittelt werden (Aussetzung §87 Aufenthaltsgesetz). Die Kosten für diese dringend notwendigen Gesundheitsleitungen sind selbstverständlich aus öffentlichen Mitteln zu bestreiten (z.B. Handhabung im Sinne von §19, §25, §69 Infektionsschutzgesetz und Anwendung des „Nothelferparagraphen“ §6a Asylbewerberleistungsgesetz).
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge muss die Versendung negativer Bescheide un-verzüglich einstellen. Aufgrund von geschlossenen Beratungsstellen und eingeschränktem Besuchsverkehr bei Anwält*innen ist es momentan für Geflüchtete kaum möglich, gegen negative Bescheide rechtlich fristgerecht vorzugehen.
Sämtliche Kürzungen von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz müssen auf-gehoben werden. Da Beratungsstellen und Kanzleien nach und nach schließen, ist der Zugang zu einer effektiven Rechtsberatung nicht mehr gewährleistet.
Wir fordern einen Abschiebestopp und die pauschale Verlängerung aller Aufenthaltstitel mit sofortiger Wirkung. Bei geschlossenen Grenzen und weltweiten Reisewarnungen ist es absurd Abschiebungen weiter durchzuführen. Menschen in Abschiebehaft sind sofort zu entlassen.
Wer sich momentan an der griechisch-türkischen Grenze und in den Lagern auf den griechi-schen Inseln befindet, ist hygienischen Zuständen und psychischen Belastungen fern jegli-cher Standards ausgesetzt. Wir fordern, die Menschen aus Griechenland sofort zu evakuieren!
#LeaveNoOneBehind!
Unterzeichner*innen:
PRO ASYL
BAfF Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Fol-teropfer.
SEEBRÜCKE
Kontakt- und Beratungsstelle für Flüchtlinge und Migrant_innen e.V,
XENION - Psychosoziale Hilfen für politisch Verfolgte e.V.,
Bon Courage e.V., Borna
AG Asylsuchende Sächsische Schweiz/ Osterzgebirge e.V.
Kampagne "100 Jahre Abschiebehaft"
Abschiebehaftkontaktgruppe Dresden
ausbrechen - Antifa Paderborn
Initiativkreis: Menschen.Würdig, Leipzig
Migrationsrat Berlin e.V.
Verein iranischer Flüchtlinge in Berlin e.V.
IniRromnja
RomaniPhen e.V.
YAAR e.V.
AKuBiZ e.V., Pirna
AGIUA e.V., Chemnitz
Aufstehen gegen Rassismus, Chemnitz
Women in Exile e.V.
Jugendliche Ohne Grenzen
Refugees4Refugees
Anlaufstelle PRO ROMA Waldkirch
United Refugees Rights Movement Karlsruhe