21.10.2014
Forderungskatalog an die bayerische Staatsregierung
zur Unterbringung von Flüchtlingen in Bayern
Bei der Unterbringung von Flüchtlingen in Bayern herrscht derzeit Chaos. Das Bayerische Rote Kreuz konstatierte kürzlich eine „humanitäre Katastrophe“, Münchens Oberbürgermeister wirft der bayerischen Staatsregierung politisches Versagen und absolute Hilflosigkeit vor. Die Staatsregierung hat keinerlei Vorsorge für die vorhersehbar steigenden Flüchtlingszahlen getroffen. Es wurden keine zusätzlichen Kapazitäten in den Erstaufnahmeeinrichtungen (EAEs) geschaffen, die Anschlussunterbringung sieht weiterhin ein starres, unflexibles Lagersystem vor.
Der Bayerische Flüchtlingsrat war vom 6. bis 12. Oktober 2014 mit der LagerInventour in Bayern unterwegs, um sich ein Bild von der Situation zu machen. Unser Fazit: Die bayerische Unterbringungspolitik ist komplett gescheitert, die bestehenden Probleme sind hausgemacht. Es ist überfällig, dass die Staatsregierung endlich handelt und eine neue, nachhaltige Asylpolitik auf den Weg bringt.
„Not-Modus“ beenden. Zielführende Politik auf den Weg bringen.
Die Staatsregierung muss ihren „Not-Modus“ beenden. Statt die hausgemachten Probleme als unverschuldeten Notstand zu inszenieren, muss sie ihr Scheitern eingestehen und endlich eine nachhaltige Politik auf den Weg bringen. Die Debatte muss sachlich geführt werden und langfristige Lösungen zum Ziel haben.
Abschaffung der bayerischen Lagerpflicht. Privates Wohnen ermöglichen.
Bayern leistet sich weiterhin ein starres, unflexibles Lagersystem, das eine oft mehrjährige Unterbringung in Flüchtlingslagern vorsieht. Die Unterbringungspolitik muss geöffnet werden, die Lagerpflicht muss abgeschafft werden. Eine staatliche Unterbringung soll nur erfolgen, um Obdachlosigkeit zu vermeiden. Ansonsten ist Flüchtlingen privates Wohnen zu ermöglichen.
Ein Auszug aus den Flüchtlingslagern ist derzeit nur in wenigen Einzelfällen mit einem wochen- oder monatelangen bürokratischen Prozedere zu erreichen. Die Möglichkeit zu einem schnellen, unbürokratischen Auszug ist dringend notwendig.
Kommunen frühzeitig und umfassend einbeziehen.
Den Landkreisen und kreisfreien Städten werden derzeit Flüchtlinge über Nacht vor die Tür gestellt, eine adäquate Vorbereitung der Unterbringung ist für sie nicht möglich. Die Kommunen müssen frühzeitig informiert und umfassend in Planung und Umsetzung einbezogen werden. So können diese auch die lokale Bevölkerung an Aufnahme und Integration von Flüchtlingen teilhaben lassen.
Sozialen Wohnungsbau voranbringen und Übergangsmanagement etablieren.
Um nicht nur kurzfristig durch Abschaffung der Lagerpflicht für Entspannung zu sorgen, sondern langfristig Flüchtlingen eine nachhaltige Wohnraumversorgung zu ermöglichen, muss Zugang zum sozialen Wohnungsmarkt gewährt werden. Bei der sozialen Wohnungsbaupolitik müssen Flüchtlinge als feste Größe in die Planung einbezogen werden.
Ein Übergangsmanagement zur Beratung und Unterstützung von Flüchtlingen muss etabliert werden, um den Umzug in Privatwohnungen zu fördern.
Notunterkünfte und marode Lager schließen.
Jetzt kurzfristig geschaffene Notunterkünfte wie Zelte und Turnhallen dürfen nicht auf Dauer bestehen bleiben, sondern müssen schnellstmöglich wieder geschlossen werden. Ebenso sind Containerlager, marode Unterkünfte und sonstige unzumutbare Lager abzuschaffen. Als Übergangsunterbringung nach den Erstaufnahmeeinrichtungen sind kleinere Unterkünfte in Wohngebieten mit ausreichender Infrastruktur bereitzustellen.
Mindeststandards für alle Unterkünfte.
Für alle Unterkünfte in Bayern müssen Mindeststandards für Unterbringung, Infrastruktur und Beratung gelten. Derzeit gibt es lediglich Standards für „Gemeinschaftsunterkünfte“, welche regelmäßig unterlaufen werden. Dezentrale Unterkünfte unterliegen keinerlei Standards. Wenigstens die bestehenden Standards müssen für alle Unterbringungsarten verpflichtend gelten und eingehalten werden. Zusätzlich muss ein Mindestmaß an Infrastruktur gewährleistet sein (Verkehrsanbindung, Handynetz, Internetanschluss). Eine Kantinenverpflegung außerhalb der EAEs ist generell nicht akzeptabel.
Die bestehenden Mindeststandards finden Sie hier: Mindeststandards >>>
Betrieb und Mindeststandards kontrollieren. Ombudsstelle schaffen.
Staatliche, kommunale und private Betreiber von Unterkünften müssen hinsichtlich der Einhaltung dieser Mindeststandards einer unabhängigen, regelmäßigen Kontrolle unterzogen werden. Es muss zudem eine unabhängige Ombudsstelle geschaffen werden, an die sich Flüchtlinge und Aktive im Fall von Beschwerden wenden können, und die diesen Beschwerden auch nachgeht.
Beratung und Unterstützung erhöhen und qualitativ verbessern. Ehrenamt fördern.
Die bestehende Asylsozialbetreuung ist unterbesetzt und überlastet. Flüchtlinge weisen jedoch einen hohen Unterstützungsbedarf auf. Zudem bestehen bei besonders schutzbedürftigen Personen (z.B. Traumatisierte, UMFs, alte Menschen, LGBTs, Behinderte), spezielle Bedarfe, die im Rahmen eines Clearingverfahrens in den EAEs ermittelt werden müssen. Eine adäquate Beratung und Betreuung in ganz Bayern muss sichergestellt werden.
Das wichtige ehrenamtliche Engagement ist zu fördern und zu koordinieren. Gleichzeitig muss klar sein, dass Privatpersonen eine professionelle Betreuung nur ergänzen, nicht jedoch ersetzen können.
Sicherheitsdienste abschaffen. Betreuungs- und Verwaltungspersonal schulen.
Flüchtlinge sind kein Sicherheitsproblem, sondern haben großen Unterstützungsbedarf. Sicherheitsdienste sind daher abzuschaffen, stattdessen ist die Sozialbetreuung auszubauen. Das Betreuungs- und vor allem Verwaltungspersonal muss geschult werden. BetreiberInnen, HausmeisterInnen, etc. müssen interkulturelle Kompetenz und ein Mindestmaß an Fremdsprachenkenntnissen vorweisen können.
Sozialleistungen als Geldleistungen. Selbstbestimmtes Leben ermöglichen.
Sozialleistungen für Flüchtlinge müssen in Geldleistungen ausbezahlt werden. Dies ermöglicht ein selbstbestimmtes Leben und Wohnen für Flüchtlinge. Die Vorrangigkeit von Geldleistungen wird auf Bundesebene im Asylbewerberleistungsgesetz festgeschrieben werden. Dies muss spätestens dann in Bayern auch für die Unterbringung umgesetzt werden.
Gesundheitsversorgung gewährleisten, Therapien ermöglichen.
Der Zugang zu einer umfassenden Gesundheitsversorgung muss ermöglicht werden. Spezielle Therapiebedarfe, die bei einem Clearingverfahren in den EAEs festgestellt werden, müssen bei der Verteilung und Unterbringung berücksichtigt werden. Flüchtlinge dürfen nicht länger in Abhängigkeit von fachfremden EntscheiderInnen über Krankenscheine und einer gesundheitlichen Unterversorgung gehalten werden.
Deutschkurse und Beschulung ausweiten. Soziale Integration ermöglichen.
Eine Integration mittels Deutschkursen, Beschulung und Zugang zum Arbeitsmarkt muss von Beginn an ermöglicht werden. Sprachkurse zur Erstorientierung und anschließende vertiefende Kurse müssen ausgebaut werden. Bildungsangebote dürfen nicht mit ausländerrechtlichen Mitteln unterlaufen werden, Spracherwerb, Schule und Arbeit müssen Priorität genießen.
Ausländerbehörden von Abschreckung zu Integration umorientieren.
Ausländerbehörden müssen angewiesen werden, ihre Handlungsspielräume im Sinne einer Aufenthaltsverfestigung und Integration zu nutzen. Der Leitgedanke der Abschreckung muss dem der Integration weichen. Beispielsweise sind Erlaubnisse zur privaten Wohnsitznahme und Arbeitsaufnahme grundsätzlich und unbürokratisch zu gewähren.