13.02.2002

Flüchtlingsräte kritisieren europafeindliche Vorstöße Niedersachsens und Bayerns

Große Koalition der Länder gegen ein liberaleres Flüchtlingsrecht in Deutschland? Entschließung zur Asyl-, Flüchtlings- und Einwanderungspolitik in der EU am 14.02.02 im Innenausschuss des Bundesrats

Niedersächsischer Flüchtlingsrat, Bayerischer Flüchtlingsrat: Der Niedersächsische und der Bayerische Flüchtlingsrat warnen die Bundesländer Bayern und Niedersachsen vor einer Beibehaltung ihres europafeindlichen Kurses. Mit scharfer Kritik haben die beiden Organisationen auf die beiden in den Bundesrat eingebrachten Entschließungsanträge von Niedersachsen (Drucksache 50/02) und Bayern (Drucksache 58/02) zur Asyl-, Flüchtlings- und Einwanderungspolitik der Europäischen Union reagiert. Bayern und Niedersachsen wenden sich gegen alle vorliegenden Vorschläge der Europäischen Kommission für ein gemeinsamen Asylrecht und befürworten einen ausschließlich an der bisherigen deutschen Praxis orientierten Ansatz eines künftig europäischen Asylrechts. Selbst die beschlossene Richtlinie zum "Vorübergehenden Schutz", die bis Ende 2002 auch in der Bundesrepublik umgesetzt werden muss, stellen die beiden Bundesländern in zentralen Passagen zur Disposition.

Beide Bundesländer verfolgen mit ihren Entschließungsanträgen offensichtlich auch innenpolitische Ziele: Allzu offenkundig ist das Bestreben, eine gemeinsame Front der Bundesländer für eine restriktive Flüchtlingspolitik zu begründen. Ursprünglich sollte gar ein gemeinsamer Entschließungsantrag in den Bundesrat eingebracht werden. Nach der Nominierung von Edmund Stoiber als Kanzlerkandidat der Union erschien den Niedersachsen ein gemeinsames Vorgehen mit den Bayern jedoch nicht mehr opportun. Weiterhin unterscheiden sich die beiden Entschließungsanträge aber nur in Nuancen voneinander. Offenbar wollen Bayern und Niedersachsen nicht nur den in ihren Ländern praktizierten, schäbigen Standard zum gemeinsamen europäischen Nenner erheben, sondern mit ihrer Stellungnahmeauch Einfluss auf die innenpolitische Diskussion um ein neues Zuwanderungsgesetz nehmen. Die sich hier anbahnende große Koalition gegen die Vergemeinschaftung des Asylrechts ist auch eine Koalition für ein restriktives Zuwanderungsgesetz.

Der Niedersächsische und der Bayerische Flüchtlingsrat appellieren an die Länder, im Interesse der Harmonisierung des Asylrechts die Vorlagen für einen Entschließungsantrag zurückzuziehen. Ein gemeinsamen Asylsystem kann nur realisiert werden mit einem Mindestmaß an Loyalität gegenüber dem europäischen Gesetzgebungsprozess.

Bayern und Niedersachsen lehnen u.a. den Vorschlag der Europäischen Kommission ab, bei Asylverfahren auch Nichtregierungsorganisationen hinzuzuziehen. Die von der Kommission vorgesehene obligatorische Möglichkeit der Anrufung eines "Rechtsmittelgerichts" geht den Ländern ebenso zu weit wie die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen. Für überflüssig halten die beiden Bundesländer auch eine schriftliche Begründung von Entscheidungen in einer dem Flüchtling verständlichen Sprache sowie ein Anspruch auf Prozesskostenhilfe, wie von der Kommission vorgeschlagen. Der Grundsatz, im Zweifelsfall zugunsten des Flüchtlings zu entscheiden, sei "abzulehnen".

Die Kaltblütigkeit dieser Position ist erschreckend: Infolge von Schnellverfahren, mangelnder Information der Betroffenen und falscher Verfolgungsprognosen werden in Deutschland immer wieder Flüchtlinge zu Unrecht abgelehnt. Beispielsweise befindet sich der Flüchtling Hussein Daoud seit seiner Abschiebung im Dezember 2000 bis heute in syrischer Haft, nachdem ihm die deutschen Behörden Betrug unterstellt und seinen Asylantrag abgelehnt hatten. Der Niedersächsische Flüchtlingsrat und PRO ASYL haben in den letzten Jahren allein 40 Fälle von Misshandlung und Verfolgung kurdischer Flüchtlinge aus der Türkei dokumentiert. Teilweise wurden die Betroffenen gefoltert und zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Es ist an der Zeit, daraus endlich Konsequenzen zu ziehen und dafür zu sorgen, dass Flüchtlinge auch in Deutschland ein faires Verfahren erhalten.

Im Bereich der sozialen Aufnahmebedingungen empfehlen die beiden Bundesländer das stigmatisierende "Sachmittel-Modell des Asylbewerberleistungsgesetzes" als europäischen Standard. Niedersachsen ist bislang das einzige sozialdemokratisch regierte Land, das den Kommunen die Ausgabe von Sachmitteln an Flüchtlinge zur Abschreckung rigide vorschreibt. Offenbar wollen Niedersachsen und Bayern hier gemeinsam die übrigen sozialdemokratischen Bundesländer, aber auch einige christdemokratisch regierte Länder (z.B. Hessen) unter Druck setzen, die eine derartige Diskriminierung von Flüchtlingen bislang verweigern. Statt weiter an der Schraube zu drehen und das Sachleistungsmodell festzuschreiben, fordern wir eine Abschaffung der leistungsrechtlichen Sonderbehandlung von Flüchtlingen.

In Fragen des Zugangs Asylsuchender zum Arbeitsmarkt soll sich die EU den Entschließungsanträgen zufolge nicht einmischen. Bürgerkriegsflüchtlinge sollen grundsätzlich keinen uneingeschränkten Arbeitsmarktzugang erhalten. Auch hier bemühen sich Bayern und Niedersachsen um eine Festlegung der Bundesländer auf eine restriktive Linie, die den Behörden die Möglichkeit erhalten soll, Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt zu benachteiligen. Stattdessen fordern wir, dass Flüchtlinge, die in Deutschland Schutz vor Verfolgung suchen, ohne Einschränkung arbeiten dürfen.

Schließlich lehnen beide Bundesländer eine rückhaltlose Anerkennung nichtstaatlicher Verfolgung ab. Selbst dem moderateren Entschließungsantrag des Landes Niedersachsen zufolge soll nichtstaatliche Verfolgung nur dann anerkannt werden, wenn sie „mit Billigung oder Duldung des Staates“ erfolgt. Dies ist jedoch bereits nach jetziger Rechtslage der Fall. Das Land Niedersachsen fällt damit der Bundesregierung in den Rücken, die in ihrem Entwurf für eine neues Zuwanderungsgesetz die Anerkennung nichtstaatlicher Verfolgung vorgesehen hat.

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