05.12.2001

Flüchtlinge unter Generalverdacht

Bayerischer Flüchtlingsrat lehnt geplantes Terrorismusbekämpfungsgesetz ab

Obwohl das sogenannte "Terrorismusbekämpfungsgesetz" von praktisch allen Bürger- und Menschen-rechtsorganisation in Deutschland abgelehnt wird, will die Bundesregierung  ihre Pläne im Tempo einer Notstandsgesetzgebung einführen. Auch die bei der extrem kurzfristig angesetzten Expertenanhörung im Innenausschuss des Bundestages geäußerte scharfen Kritik lassen Rot-Grün unbeeindruckt. Zu befürchten ist vielmehr, dass die von Bayern und anderen Bundesländern geforderten zusätzlichen Verschärfungen zumindest teilweise in das Gesetz einfließen  werden.

Die in diesem Gesetz geplante massive Beschneidung von grundlegenden Freiheits- und Bürger-rechten sind untauglich zur Bekämpfung des Terrorismus. Sie sollen vielmehr lang gehegte Wünsche von diversen deutschen Geheimdiensten und von  Sicherheitstechnokraten befriedigen, die offenbar weniger an der Verwirklichung von freiheitlichen Grundrechten als am Aufbau eines Überwachungs- und Polizeistaats interessiert sind. Viele Bestimmungen richten sich zudem pauschal gegen alle Flüchtlinge/MigrantInnen. Bei den ange-strebten Verschärfungen des Ausländer- und Asylrechts handelt es sich in erster Linie um Instrumente einer Politik der  Abschottung und Abwehr von "unerwünschten" ZuwanderInnen.

Dazu Gerti Kiermeier, eine Sprecherin des Bayerischen Flüchtlingsrates:
"Sicherheitspolitische Tritt-brettfahrer wie Schily oder Beckstein wollen im Windschatten der Anschläge vom 11. September ein Gesetz durchziehen, dass nicht für mehr Sicherheit sorgt, sondern zur Einschränkung von Grund-rechten und zu einem weiteren Abbau des Flüchtlingsschutzes führen wird".

Der Bayerische Flüchtlingsrat lehnt mit den anderen Landesflüchtlingsräten und Pro Asyl  das geplante Terrorismusbekämpfungssgesetz ab. Kritisiert werden insbesondere folgende Punkte:

Ungehemmter Datenfluss

Ab jetzt wird hemmungslos vermessen, registriert, gesammelt und verglichen: Im Ausweis dürfen über Foto und Unterschrift hinaus bestimmte "biometrische Merkmale" (von Fingern, Händen oder Gesicht) gespeichert werden. Hier geht es nicht nur um die zweifelsfreie Zuordnung Person-Pass. Zu be-fürchten ist die Einrichtung einer Referenzdatenbank, in der unverwechselbare Daten jedes Menschen abgespeichert sind und über die jede/r identifizierbar wird. Migranten werden zusätzlich diskriminiert: Für Deutsche werden die genauen Regelungen zu den gespeicherten Daten per Gesetz festgelegt, für Ausländer genügt schon eine Rechtsverordnung des BMI. Im Gegensatz zu Deutschen sind die ver-schlüsselt angebrachten Daten von Migranten und Flüchtlingen auch nicht an den Zweck der Identitätsfeststellung gebunden, sondern können von allen Behörden verwendet und weitergegeben werden. Bei Ausländern fehlt überdies das für Deutsche vorgesehene Recht zu erfahren, welche Daten gespeichert sind. (§ 4 PassG, § 1 PersAuswG, §§ 5, 39, 56a AuslG). Das ist strukturell rassistisch.

MigrantInnen im Visier

Schon heute kann die Polizei bei Vorliegen konkreter Gefahr auf das Ausländerzentralregister (AZR) zugreifen, in dem nicht nur die Migranten gespeichert sind, die schon jahre- oder jahrzehntelang in Deutschland leben, sondern auch Personen, die früher in Deutschland gelebt haben und längst ausge-wandert sind. Die Daten von mehr als 10 Millionen Menschen sind im AZR registriert. Zukünftig soll die Polizei den gesamten Datenbestand in einem automatisierten Verfahren per Rasterfahndung aus-werten können - auch ohne dass eine konkrete Gefahr erkennbar ist. Die bisherige Erfahrung mit Rasterfahndungen zeigt: Fast immer sind Unschuldige von schweren Eingriffen in ihre Persönlichkeits-rechte betroffen. (§ 12 Abs. 1 AZRG).

Flüchtlinge unter Generalverdacht

Flüchtlinge sind heute die am penibelsten erfasste Bevölkerungsgruppe. Im Fingerabdrucksystem AFIS werden ihre Daten gespeichert. Darauf kann die Polizei bislang bei begründetem Verdacht auf eine Straftat zugreifen. Zukünftig sollen die Daten einem automatischen Abgleich mit polizeilichen Tatortspuren unterzogen werden. Auf 10 Jahre soll die Speicherungsdauer ihrer Daten verlängert werden, sogar über die Anerkennung als Flüchtling hinaus. Die geplante zweckentfremdete Verwendung dieser Daten ist datenschutzrechtlich bedenklich und stellt Flüchtlinge unter Generalverdacht. (§ 16 Abs. 5 u. 6 AsylVfG).

Missbrauch von Asylinformationen

Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge soll verpflichtet werden, Informationen aus der Anhörung an den Verfassungsschutz weiterzuleiten. Ein faires Asylverfahren ist aber kaum möglich, wenn Flüchtlinge sich auf die Vertraulichkeit des Gesprächs nicht mehr verlassen können: Denn die persönlichen und teils hochsensiblen Informationen können auf Geheimdienstkanälen in den Verfolgerstaat gelangen. Der Verrat des "Asylgeheimnisses" durch deutsche Behörden kann für Flüchtlinge und deren Angehörige im Herkunftsland lebensgefährlich sein. (§ 18 BVerfSchG)

Pauschalangriff auf ausländische Vereine

Vereine von MigrantInnen werden zukünftig noch stärker vom Verfassungsschutz überwacht, wenn sie sich gegen "den Gedanken der Völkerverständigung" oder "das friedliche Zusammenleben der Völker richten". Darüber hinaus sollen sie leichter verboten werden können, z.B. wenn sie Gewaltanwendung befürworten oder androhen, auch wenn sich dies nicht auf Deutschland, sondern auf ihr Herkunftsland bezieht. Was sich nach Terrorismusbekämpfung anhört, ist in der Praxis hochproblematisch: Exil-vereinen, die sich politisch gegen Unrechtsregime in ihren Herkunftsstaaten engagieren, droht die Verbotsverfügung. Soll ein afghanischer Verein, der in Deutschland zum gewaltsamen Sturz der Taliban aufruft, verboten werden? Aus der Perspektive von Verfolgerstaaten sind Oppositionelle oft Terroristen. Eine Gleichsetzung zwischen Terrorismus und dem Kampf gegen diktatorische Regime darf es nicht geben! (§ 3 BVerfSchG, § 14 Abs. 2 VereinsG)

Verschärfung der Ausweisungsbestimmungen

Die Ausweisungstatbestände sollen erheblich verschärft werden. Dabei wird mit unscharfen General-klauseln hantiert: Gründe für eine Ausweisung sind z.B. schon die Drohung mit Gewalt oder die Unter-stützung bestimmter verdächtigter Vereinigungen (s.o.). Eine genaue Abgrenzung zum Terrorismus ist auch hier kaum möglich. Selbst nicht gewalttätige Unterstützer von politischen Exilgruppen könntenbetroffen sein. Klagen dagegen stellen nicht automatisch die aufschiebende Wirkung mehr her, d.h. die Betroffenen müssen u.U. die ausländerrechtlichen Folgen tragen, bevor ein Gericht die Ent-scheidung überprüfen kann. (§§ 8, 47 Abs.2, § 72 Abs.1 AuslG)

Sprachanalysen

Menschen im Asylverfahren und bestimmte Ausreisepflichtige sollen sich Sprachanalysen "zur Be-stimmung der Herkunftsregion" unterziehen. In der Gesetzesbegründung wird erläutert, dass es sich um eine Maßnahme zur Erleichterung der Abschiebung Ausreisepflichtiger handelt. Damit wird eine Praxis, die PRO ASYL schon lange als wissenschaftlich fragwürdig kritisiert, aus der rechtlichen Grauzone heraus geholt und in Gesetzesform zementiert. Mit Terrorismusbekämpfung hat dies offensichtlich gar nichts zu tun. (§ 16 Abs. 2 AsylVfG)

Visumantragsteller: Behandelt wie Kriminelle

Die Visadatei soll ausgebaut werden, u.a. durch die Speicherung von Fotos. Visumantragsteller müssen unter Umständen auch ihre Fingerabdrücke abliefern, die dann für alle Behörden zugänglich sind. Sogar die Daten derjenigen, die Menschen nach Deutschland einladen, können registriert und weitergeleitet werden. Sogar das Auswärtige Amt hat die Behandlung von Visumantragstellern als "nicht akzeptabel" beurteilt: Die Vorschrift "kollidiert erheblich mit dem ... Interesse an einer Präsentation Deutschlands als weltoffenes und gastfreundliches Land" und könnte "grundsätzliche politische und wirtschaftspolitische Interessen Deutschlands dauerhaft ... beeinträchtigen." (§ 29 AZRG, §§ 41, 64 a AuslG)

Der BGS: Auf Grenzpatrouille im Inland

Schon jetzt darf der BGS im 30 km-Raum von der Grenze sowie u.a. an Flughäfen, Bahnhöfen und in allen Zügen Personen kontrollieren und ggf. die Sachen durchsuchen. Zukünftig soll der BGS-Zugriffsbereich im Küstenbereich auf 50 bis 80 km ausgedehnt werden. Mit Grenzüberwachung hat das wenig zu tun, wohl aber mit Rassismus. Denn die Auswahl der Kontrollierten orientiert sich nach allen Erfahrungen und den Kriterien des Antiterrorgesetzes an rassistischen Kriterien: Betroffen sind fast ausnahmslos (vermeintliche) Flüchtlinge und Migranten. Für sie ist, z.B. am Bahnhof, das Landes-innere schon längst "Grenzgebiet". Je dunkler die Hautfarbe, desto verdächtiger. Die in Deutschland lebenden Attentäter von New York hätte man mit Kontrollen an jeder Straßenecke übrigens nicht gefunden: Sie hatten fehlerfreie Papiere. (§ 2 Abs. 2 BGSG)

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