08.07.2015

Flüchtlinge: Söder im geistigen Ausnahmezustand

Finanzminister Markus Söder hetzt im PNP-Interview offen gegen Flüchtlinge und beweist, dass er vom Asylrecht keine Ahnung hat


Im Interview mit der Passauer Neuen Presse erklärt Bayerns Finanzminister, Markus Söder, seine Sicht auf die Lage der Flüchtlinge in Bayern. Er beklagt, dass Flüchtlinge besonders nach Bayern kämen, Bayern unter diesem behaupteten „Ansturm der Flüchtlinge“ sein Gesicht verändere und man dafür sorgen müsse, dass „der Flüchtlingsstrom nach Bayern abnimmt“. Er schlägt dafür die Wiedereinführung des Sachleistungsprinzips vor sowie die Abschaffung des Taschengelds von 140 Euro pro Monat, um Flüchtlinge von der Flucht nach Bayern abzuhalten.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 18.7.2012 jedoch eindeutig festgestellt, dass jeder Mensch in Deutschland einen „verfassungsrechtlich garantieren Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum“ hat. Dieses Existenzminimum darf aus migrationspolitischen Erwägungen heraus, z.B. zur Steuerung der Migration, nicht abgesenkt werden, das wäre eine verfassungswidrige migrationspolitische Relativierung eines Grundrechts.

Markus Söder beweist in seinem Interview, dass er keinerlei Ahnung vom europäischen und deutschen Asylrecht hat. Seine Forderung, das Taschengeld für Flüchtlinge ganz abzuschaffen, um den Anreiz zur Flucht nach Bayern zu vermindern, ist jedoch schlicht der Aufruf zum Verfassungsbruch. Nachdem er schon Ende der neunziger Jahre, damals noch als JU-Vorsitzender, Rückführungsprogramme für Türken in Deutschland gefordert hat, zückt er nun wieder die Populistenkeule“, kritisiert Alexander Thal, Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrats. „Als Mitglied der Staatsregierung sollte Söder dazu beitragen, die Stimmung der Bevölkerung gegenüber Flüchtlingen in Bayern zu halten und rechte Hetze gegen Flüchtlinge zu bekämpfen. Sich selbst jedoch daran zu beteiligen, auch noch mit Unwahrheiten, ist entweder dumm oder bewusstes Kalkül, um die politisch rechte Flanke zu schließen.

Zu den einzelnen Aussagen Söders:

Die Verteilung der Flüchtlinge in Europa klappt nicht zufriedenstellend, nur von Italien und Griechenland werden Flüchtlinge wegverteilt.
Es gibt keine Verteilung der Flüchtlinge in Europa, lediglich die Vereinbarung, dass einige EU-Länder ein paar Flüchtlinge aus Italien und Griechenland aufnehmen. Stattdessen gibt es den nahezu kompletten Zusammenbruch des Dublin-Systems.

Weil andere EU-Staaten keine Flüchtlinge aufnehmen, kommen sie nun besonders nach Bayern.
Flüchtlinge kommen in den seltensten Fällen gezielt nach Bayern. Die Fluchtrouten führen durch Bayern hindurch, die Bundespolizei und die bayerische Landespolizei kontrollieren die Grenzen jedoch umfassend und holen alle Flüchtlinge aus Zügen, Bussen und Autos und beenden damit die Flucht. Besonders deutlich wird dies am Beispiel der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge (UMF), die zum größten Teil Verwandte in Deutschland oder anderen EU-Ländern haben und zu ihnen unterwegs sind. Sie werden jedoch in Passau, Rosenheim oder München aus den Zügen gezwungen und müssen dort in Obhut genommen werden. Bayern schafft sich so erst die UMF, die keine wären, wenn sie bei ihren Verwandten ankämen.

Bayern befindet sich fast im Ausnahmezustand bei der Unterbringung.
Wer alle Flüchtlinge aus den Zügen holt, ist zunächst für ihre Unterbringung zuständig. Kein Wunder, dass immer mehr „Notfallplan-Unterkünfte“ in Bayern eröffnet werden, überall müssen Flüchtlinge in Turn-, Tragluft- oder Lagerhallen untergebracht werden.

Nur ein Prozent der Flüchtlinge werden als Asylberechtigte anerkannt, es ist der Bevölkerung nicht zu vermitteln, dass 35 Prozent zudem geduldet werden und in Deutschland bleiben.
Ja, es wird nur ein Prozent der Flüchtlinge als Asylberechtigte nach dem Grundgesetzartikel 16 anerkannt. Zudem werden aber rund 35 % nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt oder erhalten subsidiären Schutz oder ein Abschiebeverbot, weil bei der Rückkehr in die Herkunftsländer Gefahr für Leib und Leben droht. Bereinigt betrug die Anerkennungsquote des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge im letzten Jahr rund 50 %. All diese Menschen bekommen eine Aufenthaltserlaubnis und werden absehbar auf Dauer in Deutschland bleiben.

„Bayern ändert unter dem Ansturm der Flüchtlinge sein Gesicht. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass der Flüchtlingsstrom nach Bayern abnimmt“
Eine selten dämliche Anspielung auf Überfremdungsängste und rassistische Vorurteile und klingt wie von der extremen Rechten.

„Ich bin sehr dafür, […] das Taschengeld für Flüchtlinge von 140 Euro im Monat abzuschaffen.“
Das Taschengeld ist keine freiwillige Leistung, die man nach Gutdünken entziehen kann, sondern Teil des „verfassungsrechtlich garantierten Anspruchs auf ein menschenwürdiges Existenzminimum“, wie das Bundesverfassungsgericht geurteilt hat. Flüchtlinge haben danach Anspruch auf ein physisches Existenzminimum, das nach BVerfG auch als Sachleistung gewährt werden darf, z.B. in Form von Unterbringung und Catering in der Erstaufnahmeeinrichtung. Das soziokulturelle Existenzminimum, derzeit die genannten 140 Euro, muss jedoch in voller Höhe bar ausbezahlt werden. Eine Streichung dieses soziokulturellen Existenzminimums ist nicht vereinbar mit der Rechtsprechung des BVerfG und ist schlicht verfassungswidrig.

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