07.11.2019

Fluchtgefahr bei Flüchtling?

Nach Abschiebung in die Türkei: Nürnberger Kurde jetzt in Untersuchungshaft

Murat Akgül wohnt seit 1989 in Deutschland. Er ist verheiratet und hat vier Kinder – zwei von ihnen haben die deutsche Staatsangehörigkeit. Er besitzt Wohneigentum und hatte bis zur Ausweisung in diesem Jahr eine Niederlassungserlaubnis und feste Arbeitsstelle. Er betätigt sich politisch, geht auf Demonstrationen und engagiert sich im kurdischen Vereinszentrum in Nürnberg. Dies reicht den Behörden aus, um ihn zu Sicherheitsgesprächen vorzuladen und Informationen vom Verfassungsschutz einzusehen. Obwohl Herr Akgül nicht vorbestraft ist, genügt den Behörden die politische Betätigung im Vereinszentrum und die Teilnahme an angemeldeten Demonstrationen, um eine Gefährdung der Sicherheit und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung Deutschlands zu konstruieren.

Es ergeht eine Ausweisungsverfügung, Meldeauflage, Entzug der Niederlassungserlaubnis und schlussendlich dann die Abschiebung in die Türkei mit einer Wiedereinreisesperre und Aufenthaltsverbot für Deutschland, befristet auf zehn Jahre. Direkt nach der Ankunft am Flughafen wird er von türkischen Behörden verhört und taucht anschließend aus Angst unter. Schließlich reist er über die Balkanroute wieder in Deutschland ein. Er meldet sich bei den Behörden und stellt einen Asylantrag. Trotzdem leitet die Staatsanwaltschaft Nürnberg/Fürth ein Strafverfahren wegen illegaler Einreise ein und nimmt ihn in Untersuchungshaft, da sie von Fluchtgefahr ausgeht. Nach Artikel 31 der Genfer Flüchtlingskonvention darf jedoch keine Strafe gegen Flüchtlinge verhängt werden, wenn sich diese nach der Einreise bei den Behörden melden und ihre Gründe darlegen, die die unrechtmäßige Einreise rechtfertigen. Warum die Staatsanwaltschaft von Fluchtgefahr ausgeht, obwohl Herr Akgül sich bei den Behörden gemeldet und ein berechtigtes Interesse an der Betreibung seines Asylverfahrens und darüber hinaus seinen Lebensmittelpunkt in Nürnberg hat, bleibt fraglich. Herr Akgül befindet sich nun seit seiner Inhaftierung am 28.10. aus Protest dagegen im Hungerstreik.

„Einen politisch aktiven Kurden in die Türkei abzuschieben, gerade in der jetzigen Situation, ist zynisch und hoch gefährlich. Es ist reiner Zufall und eine gehörige Portion Glück, dass Herr Akgül dort nicht gleich in Haft genommen wurde. Dass das autoritäre Erdogan-Regime nicht davor zurückschreckt, Oppositionelle, Kritiker*innen und Journalist*innen einzusperren, ist spätestens nach dem Skandal um Deniz Yücel allen bekannt. Dass deutsche Sicherheitsbehörden bei einem politisch aktiven Kurden ohne Vorstrafen eine Gefahr für die demokratische Grundordnung sehen, erinnert stark an Erdogans Propaganda, der regelmäßig Kurd*innen mit Terrorist*innen gleichsetzt. Das ist einem Rechtsstaat nicht würdig“, kritisiert David Förster vom Bayerischen Flüchtlingsrat. „In der Türkei droht ihm politische Verfolgung, deshalb flieht er wieder nach Deutschland. Hier bekommt er ein Strafverfahren, das nur durch die Einreisesperre durch die Behörden eröffnet werden konnte und wird in Untersuchungshaft gesteckt. Da er einen Asylantrag gestellt hat, stellt die Strafverfolgung wegen illegaler Einreise einen Verstoß gegen Artikel 31 der Genfer Flüchtlingskonvention dar. Herr Akgül ist sofort aus der Haft zu entlassen und sein Asylantrag unvoreingenommen zu prüfen. Was hätte Herr Akgül in seiner ausweglosen Situation denn sonst tun sollen?“



Zurück