09.05.2005

Erste Woche Paketboykott

Flüchtlinge wenden sich mit einer Resolution an die Regierung von Oberbayern

Seit dem 3. Mai boykottieren Flüchtlinge aus einem Barackenlager in München den Bezug von Essenspaketen. In einer Resolution die heute an die Regierung von Oberbayern gesendet wurde, fordern namentlich 39 der 64 Boykott TeilnehmerInnen: Bargeld statt Sachleistungen. Doch ihnen geht es um mehr, als um die Mangelversorgung durch Essenspakete.

Es ist kalt im Lager in der Emma-Ihrer-Str.8, die Heizungen sind abgestellt, trotz des aktuellen Wetterumschwunges der letzten Tage, den "...im Sommer wird nicht geheizt", so die Regierung von Oberbayern. Vielleicht Ausdruck eines Unmuts über die Flüchtlinge, denn ein Teil der BewohnerInnen boykottiert seit einer Woche den Bezug der Essenspakete. Nun wenden sie sich in einer Resolution direkt an die Regierung von Oberbayern.

„Wir wollen Bargeld ausbezahlt bekommen, damit wir selber entscheiden können, was wir essen, und was wir für uns und für unsere Kinder kaufen. Darum boykottieren wir die Annahme der Essenspakete. Wir möchten Sie daran erinnern, dass es für Sie nach geltender Gesetzeslage jederzeit möglich wäre, uns Bargeld statt Sachleistungen auszuzahlen. Übrigens wäre dies sogar deutlich billiger und weniger aufwändig..“ heißt es in der Resolution, die heute morgen an Werner-Hans Böhm, Regierungspräsident von Oberbayern und die zuständige Sachgebietsleiterin Angelika Michalik gesendet wurde.

Sachleistung das heißt:

Essenspakete, Toilettenartikel, gebrauchte Kleidung, Bett, Stuhl und Spind im Mehrpersonenzimmer (ca. 15m² für 3-4 Personen) im Sammellager. Zweimal pro Woche gibt es ein Essenspaket, doch für die besonderen Bedürfnisse von z.B.: Vegetariern, Kranken und Kleinkindern sind sie kaum zu gebrauchen. Allen anderen werden fremde Essgewohnheiten und mindere Qualität aufgezwungen.

Ein Hygienepaket für drei Monate für Frauen ab 14 Jahren enthält z.B.: 2 Stück Seife à 100 g, 2 Tuben Zahncreme à 75 ml, 1 Zahnbürste, 1 Flasche Shampoo à 250 ml, 4 Päckchen Papiertaschentücher, 1 Hautcreme à 150 ml, 1 Deoroller à 50 ml, 3 Päckchen Damenbinden 20er. Gesamtwert : ca. 8 Euro

Zwei mal im Jahr ist Kleiderausgabe. Die Flüchtlinge erhalten gegen Abholscheine aus Kleiderkammern das, was gerade vorhanden ist. Eine Mutter von zwei Kleinkindern berichtet: "Ich habe immer noch keine richtige Bettwäsche. Bei der letzten Kleiderausgabe war fast nichts für kleine Kinder dabei, Bettwäsche gab es auch nicht."

Die Flüchtlinge wollen nur das erreichen, was in anderen Bundesländern durchaus üblich ist, Bargeld anstelle von Sachleistungen. „Weg mit den teuren Schikanen“ fordert auch Karawane Sprecher Benjamin O. O. Akinlolu. Die Karawane und der Bayrische Flüchtlingsrat unterstützen den Boykott und sammeln Lebensmittel für die Notversorgung der Flüchtlinge.

Erklärung der BewohnerInnen des Flüchtlingslagers Emma-Ihrer-Straße an die Regierung von Oberbayern

Hiermit erklären wir, Asylbewerber und Asylbewerberinnen aus unterschiedlichen Ländern, die im Flüchtlingslager Emma-Ihrer-Straße 8 in München leben, dass wir seit dem 3. Mai 2005 die Annahme der Essenspakete boykottieren. Das Leben von Essenspaketen ist für uns ein unerträglicher Zustand, den wir nicht länger hinnehmen können. Wir fordern von Ihnen als zuständiger Behörde, dass wir ab sofort anstelle von Sachleistungen den kompletten Geldbetrag, der uns offiziell zusteht – unter anderem 132 Euro pro Person monatlich für Lebensmittel- in Form von Bargeld ausbezahlt bekommen.

Die zwei Essenspakete, die wir pro Woche bekommen, entsprechen nicht unseren Bedürfnissen. Die darin enthaltenen Lebensmittel sind von minderwertiger Qualität, vieles ist für uns schlichtweg ungenießbar und muss deshalb weggeworfen werden. Auf unsere individuellen und kulturellen Essensgewohnheiten wird keinerlei Rücksicht genommen. Besonders für unsere Kinder und für die Kranken unter uns sind die Essenspakete eine Zumutung. Die Pakete enthalten viel zu wenig Obst, es gibt keine speziellen Pakete für Kleinkinder. Wir sind nicht in der Lage, unseren Kindern etwas zu kaufen, was sie gerne mögen, wie ein Eis, eine Pizza oder eine Schokolade. Da der Inhalt der Essenspakete unseren täglichen Bedarf nicht deckt, müssen wir einen Teil der 40 Euro monatliches Taschengeld, die ohnehin kaum für notwendige Dinge wie Medikamente, Fahrscheine oder Kinderspielzeug ausreichen, für zusätzliche Lebensmitteleinkäufe ausgeben.

Wir wollen Bargeld ausbezahlt bekommen, damit wir selber entscheiden können, was wir essen, und was wir für uns und für unsere Kinder kaufen. Darum boykottieren wir die Annahme der Essenspakete. Wir möchten Sie daran erinnern, dass es für Sie nach geltender Gesetzeslage jederzeit möglich wäre, uns Bargeld statt Sachleistungen auszuzahlen. Übrigens wäre dies sogar deutlich billiger und weniger aufwändig. Außerdem haben viele von uns bereits seit mehr als drei Jahren Sachleistungen bezogen und haben damit laut Gesetz sogar ein Recht darauf, künftig Bargeld statt Sachleistungen zu bekommen.

Wir boykottieren die Annahme der Essenspakete!

Wir fordern Bargeld statt Sachleistungen!

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