06.02.2004
Der BGS – desolat und desorganisiert
Beschränkte Aussagegenehmigung für BGS-Zeugen wirft Fragen auf
Nach der Vernehmung der BGS-Beamten, die mit der Vorbereitung der Abschiebung Ageebs beschäftigt waren, stellt sich der Bundesgrenzschutz bis zum Tattag als völlig desolat und desorganisiert dar. Kenntnisse über das Vorgehen bei problematischen Abschiebungen wurden offenbar hauptsächlich per „learning by doing“ weitergegeben. Sammelsurien unterschiedlicher Verfügungen erreichten nicht ihre Adressaten, die für die Abschiebung eingeteilten Begleitbeamten. Die BGS-Zeugen wollen das Verbot der Verwendung von Plastikfesseln in Verkehrsflugzeugen, das sich in einer Verfügung vom 18.4.1997 findet, nicht gekannt haben. Gehandelt wurde trotz der von den Zeugen dargestellten unklaren Weisungslage.
Die als Zeugen aussagenden BGS-Beamten verfügen lediglich über eine beschränkte Aussagegenehmigung ihres obersten Dienstherrn. Äußern dürfen sie sich nur zu Sachverhalten bis zum Ende des Tattages, dem 28. Mai 1999. Damit stellt sich die Frage, was hier eigentlich vertuscht werden soll. Selbstverständlich würden sich die Versäumnisse des BGS vor dem Tod von Aamir Ageeb im Lichte der Maßnahmen, die danach veranlasst wurden, sehr viel deutlicher darstellen. Ist der Bundesgrenzschutzbereich ‚Rückführung’ inzwischen so organisiert, dass Abschiebungen mit tödlichem Ausgang wirksam ausgeschlossen werden? Diese Frage wird außerhalb des Prozesses gestellt werden müssen. Der Prozessverlauf zeigt allerdings, dass die Menge des in der BGS-Hierarchie irgendwo existierenden Papiers hierfür keine Garantie ist.
Aamir Ageeb wurde vor seiner Abschiebung in einer Gewahrsamszelle des Bundesgrenzschutzes über längere Zeit hinweg auf schmerzhafte und erstickungsgefährliche Weise gefesselt und in der sogenannten hogtie-Stellung (mit rücklings verzurrten Hand- und Fußgelenken) fixiert. Es ist nicht erkennbar, dass diese Fesselungsweise gemessen am Verhältnismäßigkeitsgebot bei der Anwendung unmittelbaren Zwanges zulässig gewesen sein könnte. Im Prozess hat bislang kein BGS-Beamter, der mit Ageeb während des Aufenthaltes in der Gewahrsamszelle Kontakt hatte, hierfür die Verantwortung übernommen. Es wird zu klären sein, ob die gefährliche hogtie-Fesselung in Gewahrsamen der Polizei des Bundes eine übliche und von den Vorgesetzten geförderte oder hingenommene Methode gewesen ist.
Probleme mit dem bisherigen Verlauf des Prozesses dürfte auch die Chefetage der Lufthansa haben. Deren letzter Service für den Passagier Ageeb bestand darin, ihm vor dem Start ein Getränk zu servieren, das ihm dann per Strohhalm durch die Gesichtsöffnung des Integralhelms verabreicht wurde. Ihr – inzwischen pensionierter – Flugkapitän hat offenbar die mit dem Schließen der Flugzeugtüren auf ihn übergehende Bordgewalt ohne klare Delegation in der Weise wahrgenommen, dass er sich im wesentlichen auf die BGS-Begleitbeamten verließ und dabei in Kauf nahm, dass Fesselungsmittel zum Einsatz kamen, die aus Flugsicherheitsgründen nicht zulässig sein dürften.
Der ehemalige Lufthansakapitän berichtete im Rahmen seiner Zeugenaussage über von ihm durchgeführte „Regierungscharterflüge“ nach Lagos (Nigeria), bei denen es zu Problemen und Auseinandersetzungen gekommen sei. Während er deutlich sein Mitgefühl für die dabei eingesetzten BGS-Bediensteten äußerte, erwähnte er eher beiläufig seine Beobachtung, dass nach der Landung nigerianische Beamte den Abgeschobenen zum Teil zwischen die Beine getreten hätten und damit deren Widerstand beendet hätten. Es entstand der Eindruck, er halte dies für eine wirksame Methode des Umgangs mit Deportees. Es stellt sich die Frage: Braucht die Lufthansa solche Kapitäne? Braucht sie nicht vielmehr einen Menschenrechtsbeauftragten und eine Menschenrechtsausbildung ihrer Bediensteten in ihren Schulungszentren? Müssten nicht in flight reports regelmäßig Vorkommnisse dieser Art abgefragt und ausgewertet werden? Kann die Lufthansa Abschiebungsflüge in Zielstaaten verantworten, wo Misshandlungen unmittelbar nach der Landung stattfinden?
Die Strategie der Verteidiger der drei Angeklagten ist deutlich: Herausgearbeitet werden soll, dass es vor dem Hintergrund des Organisationschaos und der unklaren Weisungslage im Bundesgrenzschutz keine individuelle Schuld der Angeklagten gibt. Bei jeder polizeilichen Zwangsmaßnahme gilt jedoch, dass das Menschenwürdegebot des Grundgesetzes die oberste Maxime ist. Zumindest dies findet sich in einer Verfügung des Grenzschutzamtes Frankfurt am Main vom 1.12.1995. Darin heißt es: „Ein würdeloses ‚Verschnüren’ ist unter Hinweis auf Art. 1 Abs. 1 GG zu unterlassen.“
Bei unklarer Weisungslage hat der Beamte eine Klärung der Sachlage von seinem Dienstvorgesetzten zu verlangen. Handelt er stattdessen, dann trifft ihn eine Verantwortung.
Die Anklagebank in diesem Prozess ist, so das Ergebnis der ersten beiden Verhandlungstage, nicht breit genug, um denjenigen Platz zu bieten, die durch Handeln oder unterlassenes Handeln zum Tod von Ageeb beigetragen haben. Eines jedoch darf in diesem Prozess nicht die Oberhand behalten: Das bürokratische Prinzip der organisierten Verantwortungslosigkeit, das Kurt Tucholsky beschrieben hat: „Akte auf Akte, Paragraph auf Paragraph, die Verantwortung ist in viele Teile zerteilt, am Ende ist es keiner gewesen.“
gez. Bernd Mesovic (PRO ASYL)
gez. Frank Uhe (IPPNW)
gez. Hagen Kopp (Aktionsbündnis gegen Abschiebungen Rhein-Main)
gez. Helga Dieter (Komitee für Grundrechte)