19.11.2014

Bleiberecht für afghanische Flüchtlinge

Neubewertung der Sicherheitslage in Afghanistan bei anstehender Innenministerkonferenz erwartet / Zwei versuchte Abschiebungen aus Bayern Ende Oktober / Deutsche Asylpraxis lässt tausende Geflüchtete in Ungewissheit und Angst vor Abschiebung


Abschiebungen nach Afghanistan – bzw. die Unmöglichkeit nach Afghanistan abzuschieben – wird in Berlin am 25./26.11.2014 voraussichtlich bei der anstehenden Vorkonferenz der Staatssekretäre zur Innenministerkonferenz (IMK) verhandelt. Für die etwa 4160 AfghanInnen, die aktuell ausreisepflichtig sind, können die Entscheidungen, die hier gefällt werden, ein Leben in Sicherheit und Würde, im schlechtesten Fall eine Abschiebung bedeuten.

980 afghanische Flüchtlinge sind derzeit in Bayern ausreisepflichtig und hängen oft jahrelang im Status der Duldung fest. Das Leben als „Geduldeter“ bedeutet ständige Angst vor Abschiebung. Es bedeutet ein Leben in permanenter Warteschleife – keine Arbeit, keine Perspektive. Es bedeutet Desintegration und in vielen Fällen psychische Erkrankungen. „Du hast ständige Angst vor der Abschiebung, bist krank, hast Depressionen und Albträume“, beschreibt Mohammad aus Nürnberg seine Situation. „Ein Mensch mit normalem Leben kann nachts schlafen, hat keine schlimmen Träume, hat nicht permanent Angst“. Unter diesen Umständen ist das Verarbeiten der traumatischen Erfahrungen im Heimatland unmöglich.

Die lebensbedrohliche Lage in Afghanistan hat dazu geführt, dass in den letzten Jahren Abschiebungen dorthin aus den meisten Bundesländern überhaupt nicht stattfanden und aus den übrigen Bundesländern in verschwindend geringer Zahl (7 Abschiebungen aus der BRD 2012, 10 Abschiebungen 2013) – auch wenn jede Abschiebung nach Afghanistan eine zu viel ist. Rheinland-Pfalz hat im Dezember 2013 einen Abschiebestopp für Afghanistan beschlossen, in einem Erlass vom 28.7.2014 wird er unter Verweis auf das Auswärtige Amt mit einer „tendenzielle(n) Verschlechterung der ohnehin schon höchst prekären Situation“ begründet.

In Bayern, das seit Jahren die Abschiebungen nach Afghanistan wieder forciert, hatte zuletzt der Petitionsausschuss des Landtags in fünf Fällen entschieden, auf den Beschluss der IMK zu warten, um ihn in die eigene Entscheidung einzubeziehen. Der Integrationsbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung, Martin Neumeyer, setzte sich sogar dafür ein, dass es bis zur Entscheidung der IMK keine Abschiebungen aus Bayern nach Afghanistan gibt. Trotzdem versuchte Bayern Ende Oktober, zwei Männer nach Afghanistan abzuschieben. Diese Abschiebungen konnten einstweilen verhindert werden, jedoch befindet sich einer der Männer immer noch in Abschiebehaft. „Das Bayerische Innenministerium spielt mit dem Leben von afghanischen Flüchtlingen. Die Forcierung der Abschiebungen ist angesichts der Situation in Afghanistan verantwortungslos“, sagt Stephan Dünnwald vom Bayerischen Flüchtlingsrat.

Die zivile Bevölkerung in Afghanistan lebt unter permanenter Bedrohung, da zivile Opfer durch regierungsfeindliche Kräfte weiterhin billigend in Kauf genommen, in vielen Fällen als Mittel der Abschreckung sogar angestrebt werden. Laut aktuellem Lagebericht des Auswärtigen Amtes wurden im Jahre 2013 in Afghanistan über 8600 zivile Opfer und rund 3000 Todesfälle verzeichnet. In Afghanistan fehlt es an ausreichend qualifiziertem medizinischen Personal und Medikamenten. Über 1/3 aller Kinder sind unterernährt. Generell besteht eine hohe Kindersterblichkeit. Zudem zeigen sich deutliche Schwächen des afghanischen Justizsystems. Bei einer Abschiebung erwartet Flüchtlinge zudem eine besonders katastrophale Situation, da ein Überleben ohne soziale Netzwerke auch in der Hauptstadt Kabul nicht möglich ist. Zudem besteht die Gefahr, von regierungsfeindlichen Gruppen zwangsrekrutiert zu werden.

Wir fordern die Innenminister von Bund und Ländern auf, die Abschiebungen nach Afghanistan sofort zu beenden und den betroffenen Flüchtlingen ein Bleiberecht zu gewähren“, erklärt Dünnwald.

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