05.02.2019

Bilanz nach 6 Monaten ANKER-Zentren

Flüchtlingsrat kritisiert lange Unterbringungsdauern und menschenunwürdige Lebensbedingungen und fordert das sofortige Ende der Experimente mit ANKER-Zentren in Bayern / Kundgebung von Bewohner*innen des ANKER-Zentrums am 8.2.19 in Ingolstadt


Bayerns ANKER-Zentren sind nun seit einem halben Jahr in Betrieb. Mit großem Pomp wurden am 1.8.2018 alle bestehenden Erstaufnahmeeinrichtungen und Transitzentren umbenannt und verkündet, die ANKER-Zentren würden nun die Aufnahme von Flüchtlingen effektivieren. Aufgrund der räumlichen Konzentration von Behörden und Flüchtlingen an einem Ort würden alle von schnelleren Verfahren profitieren, nach 3 Monaten stünde die Entscheidung des BAMF fest, wer anerkannt ist, werde schnell integriert, wer abgelehnt wird, werde schnell abgeschoben. Doch mit der Realität hat diese Mär wenig zu tun:

ANKER-Zentren beschleunigen nichts
Die Asylerstverfahren des BAMF dauern so lange, wie zuvor, nach durchschnittlich rund 3 Monaten sind die Verfahren abgeschlossen. Das ist die Folge der massiven Aufstockung des BAMF-Personals, massiv gesunkenen Asylantragsstellungen und nicht der ANKER-Zentren. Ablehnungen werden aber nur selten sofort rechtskräftig, weil viele Flüchtlinge dagegen vor Gericht gehen. Die Gerichtsverfahren dauern viele Monate, teilweise warten Betroffene 2 Jahre auf ihre Verhandlung.

Unabhängige Verfahrens- und Rechtsberatung fehlen
Die Asylverfahren werden vom BAMF unmittelbar nach Ankunft im ANKER-Zentrum eingeleitet, die Anhörung durch das BAMF findet häufig schon in den ersten 2 Tagen statt. Eine unabhängige rechtliche Beratung über das Asylverfahren kann in dieser Zeit nicht stattfinden, die Flüchtlinge wissen nicht, worauf es ankommt und haben häufig nicht die Chance, ihre wirklichen Fluchtgründe vorzubringen. Diese systematische Verhinderung des Zugangs zu einer unabhängigen Verfahrensberatung verschlechtert die Qualität der Asylverfahren massiv, was zu mehr Klageverfahren vor den Verwaltungsgerichten führt.

Die Unterbringungsdauer ist unbegrenzt
ANKER-Zentren sind nirgendwo rechtlich geregelt. Deshalb sind sie Erstaufnahmeeinrichtungen für alle Flüchtlinge (§ 47 Abs. 1 AsylG), besondere Aufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge aus sicheren Herkunftsländern (§ 47 1a AsylG), Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge (§ 53 AsylG und Art. 4 bayerisches AufnG) und zugleich Ausreiseeinrichtung (§ 61 AufenthG). Die in den ANKER-Zentren untergebrachten Flüchtlinge bleiben häufig im selben Bett, das je nach Verfahrensstatus die Rechtsgrundlage ändert. Eine Entlassung aus dem ANKER-Zentrum ist nur bei Anerkennung vorgesehen, alle anderen Flüchtlinge bleiben dort bis zur Abschiebung. Die Unterbringungsdauern steigen deshalb immer weiter an und liegen weit oberhalb der erklärten 3 Monate.

Menschenunwürdige Lebensbedingungen
Elementare Grundrechte der Flüchtlinge in den ANKER-Zentren sind massiv eingeschränkt. Für die gesamte Zeit im ANKER-Zentrum leben sie in Mehrbettzimmern, teilen sich Gemeinschaftsbäder und -toiletten und werden in Kantinen versorgt – sie dürfen nicht einmal entscheiden, was sie essen wollen. Sie unterliegen der Residenzpflicht auf die Stadt/den Landkreis und dürfen nicht arbeiten, Deutschkurse gibt es nur auf ehrenamtlicher Basis. Die vielen Kinder und Jugendlichen werden in der Regel in Lagerschulen mit Minimalunterricht auf Übergangsklassenniveau abgespeist.

Übergriffe durch Sicherheitspersonal
Im Jahr 2015, als viele Notunterkünfte eröffnet wurden, erklärten Politiker*innen, Minister*innen und Polizeibeamte der Bevölkerung, dass es in solchen dicht belegten Notunterkünften selbstverständlich zu Konflikten komme, was an der Enge der Unterkünfte liege. Auch 100 willkürlich ausgewählte Einwohner*innen der Stadt/der Gemeinde würden schnell in massive Konflikte geraten, wenn sie unter solchen Bedingungen untergebracht wären. Doch anstatt daraus Konsequenzen zu ziehen und Flüchtlinge so schnell als möglich in kleinen Unterkünften unterzubringen, werden Flüchtlinge nur noch in den 7 ANKER-Zentren untergebracht. Das verschärft massiv die Konflikte im Inneren. Die Behörden reagieren darauf jedoch nur mit massiven Polizeieinsätzen und dem verstärkten Einsatz von privaten Sicherheitsdiensten. Immer wieder kommt es zu Übergriffen gegen die Bewohner*innen der Lager.


Der Bayerische Flüchtlingsrat zieht eine durchwegs kritische Bilanz nach einem halben Jahr ANKER-Zentren in Bayern: „Wir sind mit vielen Flüchtlingen in den bayerischen ANKER-Zentren in Kontakt und alle beschweren sich über fehlende Informationen, Tricks und Schikanen durch die Behörden, miesen Lebensbedingungen, erzwungener Untätigkeit, psychische Leiden aufgrund der überfüllten Lager und Angst vor Abschiebungen und Übergriffe von Sicherheitsdiensten“, erklärt Alexander Thal, Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrats. „Wir fordern deshalb das sofortige Ende der Experimente mit ANKER-Zentren in Bayern. Flüchtlinge müssen nach der Einreise human aufgenommen werden und ein faires Asylverfahren erhalten. Das ist in den ANKER-Zentren nicht gewährleistet“.

Am Freitag, den 8.2.19 protestieren Bewohner*innen des ANKER-Zentrums Manching unter dem Motto „Teilhabe statt Isolation in ANKER-Zentren“. Die Auftaktkundgebung beginnt um 14.30 Uhr auf dem Rathausplatz in Ingolstadt.

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