06.07.2018

Besonders schutzbedürftige Flüchtlinge in Bayern der Willkür ausgesetzt

Abschiebungen betreffen immer häufiger Schwangere, Kranke und Familien / CSU stellt ihre Abschiebewut über Grundrechte und Völkerrecht / SPD stimmt der Einreisehaft zu

Dublin-Abschiebungen von Schwangeren und Familien mit kleinen Kindern nach Italien und andere EU Länder, wie im Fall von Adama K. (der Bayerische Flüchtlingsrat berichtete im Mai 2018), haben in Bayern stark zugenommen. Adama K. war die erste schwangere Mandantin von Asylrechtsanwältin Petra Haubner, die im Mai 2018 in Abschiebehaft genommen wurde. Ihre Abschiebung war zwei Tage vor der berechneten Mutterschutzfrist geplant. Adamas fünf-jähriger Sohn wurde währenddessen in Obhut genommen. Ein ähnlicher Fall ereignete sich im Juni in Nürnberg, hier sollte eine Hochschwangere einen Tag vor Mutterschutz nach Litauen abgeschoben werden. Es stellten sich Komplikationen ein und sie muss seitdem medizinisch versorgt werden. Beide Frauen befinden sich aktuell heute im Kreißsaal.


Psychologische Studien beweisen, dass besonders diese Personengruppe an Postpartum Depression leidet, die
umgangssprachlich als „Wochenbettdepression“ bekannt ist. Schwangerschaften und Geburten, die bei Flüchtlingen häufig aus Vergewaltigungen entstehen, sind für die Betroffenen besonders schwer zu verarbeiten. Hierfür brauchen Frauen die Hilfe von Therapeutinnen und psychosoziale Beratung, die durch Abschiebungen abgebrochen wird. Das hat weitreichende psychologische Konsequenzen für die werdenden Mütter und deren Kinder“, berichtet Heike Barnes, Psychologin beim Frauennotruf München.


In einem anderen Fall wurde erst kürzlich ein Ehepaar getrennt, weil die Frau beim Abschiebeversuch einen psychischen
Zusammenbruch erlitt und in die Psychiatrie eingewiesen werden musste. Der Mann wurde allein abgeschoben und sagt,
die Situation wäre für die Frau eine Katastrophe, man solle unbedingt versuchen, sie in Deutschland zu behalten. Dass Familien bei Abschiebungen getrennt werden, wenn eine Person nicht anwesend oder nicht reisefähig ist, kommt regelmäßig vor. Erschwerend kommt hinzu, dass häufig Dokumente fehlen, um Ehe und Familie nachzuweisen. Das BAMF führt deshalb die Betroffenen als Einzelpersonen, entsprechend werden auch die Dublin-Verfahren der Ehepartner*innen getrennt geführt.


Judith Gleitze vom Verein „Borderline Europe“ in Italien betreut Fälle von Zurückgeschobenen. Sie berichtet: „Allgemein ist die Unterbringungssituation absolut ungesichert. Dies kann auch besonders Schutzbedürftige wie unbegleitet Minderjährigeund Familie betreffen. In einem Fall wurde eine psychisch kranke Frau in einer Unterkunft für Männer untergebracht. Es ist absoluter Zufall, ob die Unterbringung und Versorgung nach der Ankunft klappt.“ Unterbringung in Italien bedeutet vorrübergehende Notfallunterbringung und häufig landen Menschen in der Obdachlosigkeit.


So erging es auch Herr Tarawally, Witwer und alleinerziehender Vater, der vom Bayerischen Flüchtlingsrat unterstützt wird. Im Juni wurde er mit seiner sieben-jährigen Tochter aus dem Transitzentrum Deggendorf nach Rom abgeschoben. Auch aufgrund eines Fehlers deutscher Beamter war er nach seiner Ankunft in Rom mit seiner Tochter zunächst obdachlos. Seine italienischen Dokumente und beide Telefone wurden ihm nicht wie vorgeschrieben ausgehändigt, weshalb er weder Zugang zu Essensausgaben noch zu Schlafplätzen in Rom hatte. Dies ist kein Einzelfall. „Ich hatte nicht mal Geld, um vom Flughafen ins Stadtzentrum zu gelangen, in Rom wurde ich vor einer Caritas Unterkunft abgewiesen. Meine Situation hier ist sehr schwierig, meine Tochter kann nicht bei mir sein, da sie von den italienischen Behörden aufgrund meiner Situation in Obhut genommen wurde. Sie kann erst bei mir leben, wenn ich eine Arbeit habe, die es hier nicht gibt“, berichtet Herr Tarawally aus Italien.

 

Insgesamt ist festzustellen, dass trotz völkerrechtlicher Abkommen, wie der „Istanbul Konvention“ und der EU-Aufnahmerichtlinie, auf die Situation von besonders Schutzbedürftigen keine Rücksicht genommen wird. Stattdessen
werden asylpolitische Interessen durchgesetzt und Abschiebungen forciert. „Dublin-Abschiebungen passieren häufig kurz vor Ende der Dublin-Frist, obwohl vorher schon sechs Monate Zeit war für die Überstellung. Dabei wird vom BAMF das Selbsteintrittsrecht trotz zahlreicher und umfangreicher Stellungnahmen der Anwältinnen und von Beratungseinrichtungen einfach ignoriert“, fasst Haubner die Situation zusammen.


Es ist schon in der jetzigen Situation extrem schwierig, den Schutz von besonders Schutzbedürftigen geltend zu machen und Humanität im Umgang mit Flüchtlingen durchzusetzen. Mit den von CSU, CDU und SPD beschlossenen Verschärfungen des Asylrechts wird das noch einmal deutlich schwieriger. Denn Dublin-Fälle sollen bundesweit nur noch in AnKER-Zentren bearbeitet werden. Was für die anderen Bundesländer mehrheitlich neu ist, kennen wir in Bayern bereits zu genüge: Flüchtlinge haben kaum Zugang zu anwaltlicher Unterstützung und zu Beratung und Therapie durch geeignete Sozialdienste und Therapeut*innen. Es gelingt den Menschen kaum, ihre Rechte ohne Unterstützung von außen durchzusetzen und die notwendige Hilfe zu bekommen, die sie brauchen“, kritisiert Jana Weidhaase vom Bayerischen Flüchtlingsrat. „Zudem hat die SPD der Einreisehaft zugestimmt, die in den Räumen der Bundespolizei vollzogen werden soll. Das Einlegen von Rechtsmitteln wird hier faktisch unterbunden. Besonders schutzbedürftige Flüchtlinge werden unter die Räder des Rechtsstaats à la CSU geraten, die ihre Abschiebewut über Grundrechte und Völkerrecht stellt!

Zurück