26.07.2005

Bericht einer Abschiebung

Recherchereise des Bayerischen Flüchtlingsrats zur Familie Avdija nach Slowenien

Der Bayerische Flüchtlingsrat unternahm am 20. und 21. Juli 2005 eine Recherchereise nach Ljubljana, um die Situation der Familie Avdija in Slowenien zu untersuchen und ihren Bericht zum Ablauf der Abschiebung zu dokumentieren. Die Familie war am 1. Juli 05 von Bayern nach Slowenien abgeschoben worden, weil sie dort in die EU eingereist war. Schon in den Wochen vor der endgültigen Abschiebung waren die Behörden durch eine unmenschliche Behandlung der Familie aufgefallen. Hierzu zählt besonders der Versuch, den Vater allein abzuschieben, während die vier 10 bis 16 Jahre alten Kinder in einer Jugendeinrichtung und die Mutter in der Psychiatrie untergebracht waren.

Die vorläufigen Ergebnisse der Recherche stellten Erwin Bartsch, Gemeindepädagoge von Zirndorf, der die Familie sehr stark unterstützt hat, sowie Matthias Weinzierl und Stephan Dünnwald vom Bayerischen Flüchtlingsrat am Dienstag der Presse vor. Im Mittelpunkt des präsentierten Materials stehen zwei Interviews, die in Ljubljana mit der Familie geführt worden sind, in denen die Familie detailliert den Ablauf der Abschiebung beschreibt.

Der Bericht der Familie dokumentiert ein Verhalten der vollziehenden Behörden, das grundlegendste menschliche, ethisch und medizinisch gebotene Regeln verletzt. So wurde die Familie über den Abschiebezeitpunkt getäuscht und hatte keine Gelegenheit, ihre gesamte Habe mitzunehmen. Frau Avdija wurde im Pyjama aus der Psychiatrie abgeholt und wurde 16 Stunden später noch im gleichen Pyjama den slowenischen Behörden übergeben. Das Versprechen, dass erst die Mutter abgeholt würde und die Familie dann gemeinsam zum Flughafen gefahren wird, wurde nicht eingehalten. Über weite Strecken des Tagesverlaufs wurde die Familie getrennt, den Kindern wurde nicht mitgeteilt, wo ihre Mutter und ihr Vater sind oder wie es ihnen geht. Es wurde mehrfach aktiv verhindert, dass der Ehemann oder die Kinder ihrer wiederholt an starken Erregungszuständen und Ohnmachtsanfällen leidenden Mutter Beistand leisteten. Die Mitteilung der Mutter, dass sie nie geflogen sei und an Flugangst leide, wurde ignoriert. Die Bitten der Mutter, sie human zu behandeln, auch im Interesse ihrer Kinder, wurden ignoriert. Stattdessen wurde die Mutter von fünf Beamten unter hohem Gewalteinsatz zum Flugzeug geschleift. Dabei wurde ihr der Arm so verdreht, dass sie sieben Tage nach der Abschiebung im Krankenhaus in Ljubljana noch einen Gips bekam. Die Kinder, die in einem verschlossenen Transporter festgehalten wurden, mussten tatenlos zusehen, wie die Beamten mit ihrer Mutter umgingen. Der begleitende Arzt leistete der kranken Mutter im Verlauf der Abschiebung nur dort Hilfestellung, wo Dritte zugegen waren, so beim Flughafensozialdienst am Münchner Flughafen und bei der Übergabe der Frau an einen slowenischen Arzt. Nach Aussagen der Kinder und des Ehemannes verweigerte der Arzt sich auch Bitten der Familie, sich um die streckenweise bewusstlose Frau Avdija zu kümmern.

Forderungen und Konsequenzen

Aus dem Bericht der Familie Avdija zum Verlauf ihrer Abschiebung, den wir für glaubwürdig erachten, ergeben sich für den Bayerischen Flüchtlingsrat die folgenden Konsequenzen:
  • Es erscheint uns unerlässlich, dass Untersuchungen zum Gesundheitszustand von Flüchtlingen obligatorischer Bestandteil der Erstbefragungen von Flüchtlingen durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge werden. Werden Traumatisierungen festgestellt, muss die Bundesbehörde von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen und der erkrankten Person ein Asylverfahren zugestehen.
  • Der Bayerische Flüchtlingsrat wird das Bayerische Innenministerium und den Bundesgrenzschutz auffordern, umgehend eine unabhängige und umfassende Untersuchung der Durchführung der Abschiebung zu veranlassen. Wir werden die Ergebnisse unserer Recherche dem Petitionsausschuss des Bayerischen Landtags zuleiten, wo die Frage der Abschiebung trotz Behandlungsbedürftigkeit noch einmal thematisiert werden wird.
  • Wir werden die Rechercheergebnisse schließlich der Landesärztekammer und der Bundesärztekammer zukommen lassen. Es stellt sich die Frage, wie die behandelnden Ärzte des Bezirkskrankenhauses die Abschiebung Frau Avdijas gestatten konnten. Weiter stellt sich die Frage, ob ernstzunehmende Befürchtungen der behandelnden Ärzte gegenüber den durchführenden Behörden geäußert wurden und ob diese ignoriert wurden.
  • Die im Bericht deutlich hervortretende Rolle des die Abschiebung begleitenden Arztes wirft grundsätzlich die Frage nach der ethischen Verantwortung von Medizinern im Zusammenhang mit Abschiebungen auf. Wir werden die Landesärztekammer bitten, in der Sache aktiv zu werden und alles zu tun, dass Vorkommnisse wie die hier berichteten nicht möglich sind. Wir werden der Ärztekammer hier Unterstützung anbieten.
  • Wir werden auch dem bayerischen Innenminister Günther Beckstein die Ergebnisse dieser Recherche zustellen und an ihn appellieren, dass Maßnahmen ergriffen werden, die nachhaltig absichern, dass Exzesse der Rücksichtslosigkeit bei Abschiebungen künftig nicht stattfinden.

Zur Situation der Familie in Slowenien

Erfreulicherweise ist die Situation der Familie in Slowenien zwar kritisch, aber Slowene Philanthropy, eine engagierte Organisation, sowie die staatliche Flüchtlingsbetreuerin der Asylunterkunft setzen sich mit Unterstützung des UNHCR Slowenien für eine Verbesserung der Lage der Familie ein. Sie besorgen einen Anwalt für das Asylverfahren, kümmern sich um eine Behandlung und Therapie der nach wie vor schwer kranken Frau Avdija und versuchen die Unterbringung der Familie außerhalb der Unterkunft zu erreichen. Der Bayerische Flüchtlingsrat wird diese Bemühungen unterstützen und begleiten.

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