25.08.2003

Behördenwille wichtiger als menschliche Gesundheit?

Der unbedingte Wille, das Ausreiselager in Fürth als Erfolg darzustellen, fordert seine Opfer. Zum Beispiel Viktor Gusselnikov, Lehrer, 57 Jahre, Angehöriger der russischen Minderheit in Estland. Er reiste 1992 nach Deutschland ein und stellte einen Asylantrag, da er aufgrund seines Engagements für die russische Minderheit in Estland von der estnischen Polizei bedroht und misshandelt worden war.

Sein Asylantrag wurde 1997 endgültig rechtskräftig abgelehnt. Gusselnikov konnte jedoch nicht abgeschoben werden, weil die estni-schen Behörden ihn nicht als Staatsangehörigen ihres Landes anerkannten. Obwohl dies auch der zuständigen Ausländerbehörde Kronach bekannt war, übte sie weiterhin Druck auf Herrn Gusselnikov aus und ließ ihn – nachdem eine Anerkennung als Staatenloser im Juli 2002 vom VG Bayreuth abgelehnt wurde – wegen angeblicher „Identitätsverschleierung“ mit Bescheid vom 21.10.02 ins Aus-reisezentrum Fürth einweisen. Gusselnikov hat seine Identität nie verschleiert; sein Pass liegt seit Jahren bei den deutschen Behörden. Die Einweisung ins Fürther Lager konnte durch Gutachten bezüglich seiner psychischen Instabilität immer wieder verhindert werden.
Wegen akuter Suizidgefahr wurde Gusselnikov am 08.11.02 – keine drei Wochen nach Zustellung des ersten „Umverteilungsbe-scheids“ in die Zentrale Ausreiseeinrichtung Fürth – von seinem behandelnden Arzt erstmals in die psychiatrische Bezirksklinik Ober-main eingewiesen. Der behandelnde Oberarzt Dr. Langer attestierte bei seiner Entlassung einige Wochen später, dass Gusselnikov medikamentöser und psychotherapeutischer Behandlung bedürfe und ihm deshalb eine Unterbringung in einer Flüchtlingsunterkunft nicht zuzumuten wäre.

Dieses erste psychiatrische Gutachten vom 04.12.02 wurde nach einem Telefonat zwischen Hr. Dr. Hammer, den zuständigen leiten-den Beamten bei der für das Fürther Ausreisezentrum zuständigen Zentralen Rückführungsstelle Nordbayern in Zirndorf, und Hr. Dr. Mattern, dem Chefarzt des Bezirksklinikums im Sinne der erwünschten Einweisung in das Fürther Ausreisezentrum von letztgenann-tem relativiert. Gleiches geschah mit einer weiteren dem ersten Gutachten entsprechenden fachärztliche Stellungnahme vom 14.03.03 – diesmal vom behandelnden Oberarzt Dr. Baumann, ebenfalls aus dem Bezirksklinikum Obermain – nach einem Fax der Zentralen Rückführungsstelle Nordbayern vom 14.05.03.

Seit zwei Monaten befindet sich Herr Gusselnikov wieder in psychiatrischer Behandlung im Bezirksklinikum Obermain, aus welchem er jedoch voraussichtlich am kommenden Mittwoch, den 27.08.03, entlassen werden soll, um unmittelbar ins Ausreisezentrum Fürth eingewiesen zu werden. Victor Gusselnikov ist inzwischen ein gebrochener Mann, der wegen der beständigen Einweisungsdrohungen unter starken Angstzuständen leidet. Er steht unter dem Einfluss starker Psychopharmaka. Seine Wohnung wurde geräumt, doch wäre er auch zur Zeit nicht in der Lage, für sich selbst zu sorgen. Er bräuchte Ruhe, Sicherheit und jemanden, der sich um ihn kümmert. Stattdessen droht ihm nun endgültig die Einweisung ins Lager. Die wiederkehrende Verschlechterung des Gesundheitszustands von Gusselnikov nach den erneuten Aufforderungen, sich ins Ausreiselager zu begeben, spricht eine deutliche Sprache. Es ist zu erwarten, dass Herr Gusselnikov, sollte er nach Fürth verbracht werden, seine Suizidgedanken in die Tat umsetzen oder umgehend in die ge-schlossene Abteilung des Bezirkskrankenhauses zurücküberwiesen wird.

Der Bayerische Flüchtlingsrat und res publica stellen angesichts dieses Umgangs mit Herrn Gusselnikov mit großer Sorge fest, dass hier das Interesse der Ausländerbehörden bedenkenlos über die Gesundheit eines Menschen gestellt wird. Das im Grundgesetz abgesicherte Gut der körperlichen Unversehrtheit wird außer Kraft gesetzt.

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